An den Grenzen denken: Ansätze einer Brückentheologie zwischen Buddhismus und Christentum

 

In Grenzgebieten mancher Religionen gibt es heute Versuche, theologische Brücken zu schlagen und nicht nur sich abzugrenzen. Zu diesen gehört:

Perry Schmidt-Leukel, Das himmlische Geflecht, Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich, Gütersloher Verlagshaus 2022, 415 Seiten, Euro 26,-.

Der Autor geht davon aus, dass sich in beiden Religionen neben gegensätzlichen auch gemeinsame Züge finden. Vor allem geht er davon aus, dass sich in Buddhismus und Christentum ähnliche Spannungen und Widersprüche finden und nimmt dies auch für andere Religionen an. Er spricht von fraktalen Strukturen, die sich durch alle Religionen ziehen. Das heißt Einheiten, die oft untereinander in Spannung stehen und diese Spannungen in kleineren Einheiten fortführen.

Schmidt-Leukel bekennt sich zu einer interreligiösen Theologie, welche die eigene Religion nicht als die einzig wahre oder beste versteht. Religionen bilden vielmehr ein Geflecht von internen Unterschieden, Spannungen und Gemeinsamkeiten. Diese Vielfalt lebt nicht nur zwischen den Religionen, sondern auch innerhalb jeder Religion. Die gleiche Struktur findet sich auch in jedem einzelnen Menschen. Auch seine Religiosität lebt in einem Prozess interner Fragen und Widersprüche.

Aus der indischen Mythologie entlehnt der Autor das Bild vom Geflecht oder Netz, das die Welt darstellt. In den Knotenpunkten des Netzes hängen Juwelen und all diese Juwelen spiegeln einander bis ins Unendliche und geben so die Vielfalt der ganzen Wirklichkeit wider.

Verbindende Widersprüche

Der Autor exemplifiziert diese Vielfalt an etlichen Beispielen. Eines ist das Gegenüber von Weltzugewandtheit und Weltflucht. Dieses Gegenüber gibt es im Buddhismus wie im Christentum. In beiden gibt es Eremiten und Nähe zur Macht, klösterliches Leben und Bewährung im Alltag von Haus oder Staat; Distanz zur Macht und Teilhabe an der Macht mit dem Ziel der Weltgestaltung. In je eigenen Kapiteln widmet sich Schmidt-Leukel weiteren Beispielen komplementärer Strukturen. Einige Gesichtspunkte daraus und dazu:

Es geht um das ganze Spannungsfeld von Sünde, Verblendung, Strafe, Reue, Vergebung. All das gehört zusammen und kann in unterschiedlicher Weise in Beziehung zu einander gesetzt werden.

Der Gegensatz zwischen dem Lehrer Gautama Buddha und dem Gottessohn Jesus Christus ist auf den ersten Blick grundsätzlich und unüberbrückbar. Das ändert sich, wenn man genau hinschaut. Die Inkarnationslehre hat nur dünne Wurzeln im Neuen Testament. Sie hat sich über Jahrhunderte entwickelt, ist für viele Interpretationen offen und wird bei verschiedenen christlichen Konfessionen unterschiedlich gedeutet. Buddha ist einerseits ein Lehrer, aber bei allen Unterschieden gibt es doch ein gemeinsames Feld, in dem sich interpretieren lässt. Beide sind große Lehrer und beide beziehen ihre Lehre aus einer Verbindung zu ewiger Wahrheit.

Buddhismus und Christentum sind gleichermaßen Teil eines weltweiten Menschheitsphänomens, welches seinen Ort in der Sprache und in Bildern hat. Das nennen wir Religion. Dieses ist, was es ist, und kann eigentlich nicht hinterfragt werden. Es ist aber in Ursache und Wirkung voller Beziehung zur Psyche. Es ist für vielerlei Interpretationen offen und in der Lage sich in zahlreichen Mythen zu artikulieren. Der Mythos ist die Sache selbst und bleibt in kritischem Dialog mit der Vernunft.

Eine Existenz jenseits der vorhandenen kann ihrem Wesen nach nur in Bildern beschrieben werden. Da gibt es buddhistische Bilder wie das Sein ohne Willen und ohne Spannungen im Nirwana. Andererseits christliche Bilder wie das Auferstehen unverweslich bei Paulus oder die Sätze, dass man nicht tiefer fallen könne als in die Hand Gottes, dass man im Gedächtnis Gottes bewahrt bleibe, dass man sein Leben in Gottes Hand zurückgebe. All das sind nur tastende Versuche, das Unsagbare zu sagen und bleiben im Bereich des Fragens.

Viele Vergleiche gehen von einer Selbsterlösung im Buddhismus und eine Fremderlösung im Christentum aus. Aber auch das ist zu einfach. Der Buddha spielt eine Rolle als Former der Welt und als wirkmächtige Gestalt. Im Christentum gibt es viele Varianten des Verhältnisses zwischen Fremderlösung und Eigenbeteiligung. Eine radikale Fremderlösung, die jede Mitwirkung des Menschen ausschließt endet bei der absoluten Prädestination.

Identität in Offenheit

Bei allem geht es um die Frage, ob beiden Religionen die Tendenz innewohnt, die Gegensätze auszugleichen und in positive und weiterführende Beziehung zu setzen.

Schmidt-Leukel behandelt diese Gegensätze mit seiner Methode der „fraktalen Interpretation“. Das heißt eine Interpretation, die in jeder Religion und jedem Komplex eine innere Dynamik aufeinander bezogener Gegensätze sieht. Danach endet man damit, dass man die innerchristliche Ökumene zu einer interreligiösen Ökumene weiter entwickelt und es keinen prinzipiellen Gegensatz zwischen den Religionen gibt, sondern nur noch den Blick auf parallele Bezüge.

Die christliche Offenbarungstheologie, auf der zum Beispiel Karl Barths (der übrigens ausdrücklich genannt wird) ganze Dogmatik ruhte, wird hinfällig. Das heißt, Religionen sind zu sehen als Einheiten eigener Identität, die nebeneinander ihr Recht haben. So wie Nationen eine eigene Identität haben, welche die Identität anderer nicht bestreitet oder wie jede einzelne Person eine Identität hat, ohne die Identität anderer Personen zu bestreiten. Das schließt nicht aus, dass jeder im Rahmen seiner Religion lebt. Das führt im zweiten Schritt zu mehr Fruchtbarkeit von Begegnungen.

Schmidt-Leukel geht die bisher gemachten Vergleiche durch und stellt fest, dass sie unzulässige Vereinfachungen enthalten, in der Absicht, damit Gegensätze konstruieren zu können. Er blickt auf die innere Differenziertheit und kommt zu dem Ergebnis, dass es an vielen Stellen Gemeinsamkeiten und Verwandtschaften gibt, die häufig nicht vermutet werden.

Das alles beinhaltet letztlich, dass keine Religion sich auf eine ihr speziell zukommende und allein gültige Offenbarung berufen kann. Die Religionen sind ein menschheitliches Gesamtgeflecht mit Erscheinungen unterschiedlicher Art und Qualität, mit unterschiedlicher Nähe zu Vernunft und Humanität. Das alles ist der Gesprächsarbeit zwischen den Religionen wert. Es schließt aber nicht aus, dass jede Religion zunächst in ihrem eigenen Hause lebt und dieses als die ihr speziell zukommende Offenbarung betrachtet und schätzt.

Helmut Falkenstörfer.