Die Erfindung Gottes

 

Von Jahwe, dem Wüstengott zum EINEN

Der biblische Monotheismus hat eine lange Geschichte. Und die ist primär nicht die Geschichte einer Idee, sondern die Geschichte eines Gottes, der zunächst einer von vielen war und über fast 1.000 Jahre zum einzigen wurde. Er brauchte dann keinen Namen mehr und konnte als Gott oder der Herr angebetet werden. Hebräisch Adonai, griechisch Kyrios islamisch Allah (was kein Name ist, sondern zusammengezogen aus al ilah, der Gott). Diese Geschichte schildert Thomas Römer.

Und dieser Gott heißt Jahwe, gemäß dem hebräischen Tetragramm auch konsonantisch Jhwh geschrieben und missverstanden auch Jehova genannt. Er war zunächst einer von Vielen. Ein Wüstengott im Gebiet zwischen Palästina und Ägypten. Die älteste schriftliche Erwähnung findet sich im heutigen Sudan auf einer Wand des ägyptischen Tempels von Soleb am Westufer des Nil etwa 500 Kilometer südlich von Asswan, gebaut um 1350 v. Chr. unter dem Pharao Amenophis III. Dort werden in einer Liste von Völkern, die der Pharao unterworfen hat, auch die „Shasu Jahwes“ genannt. Shasu heißt einfach Beduinen. Es gibt auch mögliche Anklänge an Jahwe in Namen von Göttern und Personen in Ebla, Ugarit und Mari. Aber diese Verbindungen sind ungewiss und hypothetisch.

Sicher ist: Israel war sich bewusst, dass Jahwe von Süden her eingewandert war. Davon ist an mehreren Stellen im Alten Testament die Rede. Im Richterbuch (5,14) heißt es „Jhwh, als du aus Seir (eine Bergkette an der Grenze zum Sinai, H.F.) herauskamst, als du vom Land Edom her näherkamst. bebte die Erde, auch der Himmel triefte, die Wolken trieften vor Wasser; die Berge flohen vor Jhwh – diesem Sinai, vor Jhwh, dem Gott Israels.“

Dieser Jhwh war freilich auch in Israel noch längst nicht der eine des Monotheismus. Er war der Wichtigste unter mehreren, er konkurrierte oder verschmolz schließlich mit El. Er hatte aller Wahrscheinlichkeit nach auch noch eine Göttin neben sich. In den ersten Jahrhunderten nach David und Salomo, das heißt von 1000 bis 800 v. Chr. herrschte ein buntes religiöses Leben in Jarusalem. Thomas Römer hält zusammenfasend fest, „dass Jhwh im Verlauf des 9. und 8. Jh. v.u.Z. Königreich Juda zum Hauptgott wird, zum Gott der davidischen Dynastie und Nationalgott Judas. Er nimmt die Funktionen des Sonnengottes in sich auf und vereint in sich die Funktionen zweier Arten von Göttern: El und Baal. Der Tempel von Jerusalem war das Zentrum von Jhwhs Königtum, obwohl es andere jahwistische Heiligtümer gab, wobei, vor allem auf dem Land, die bamot (Kulthöhen, H.F.) Jhwh zeigte gegen Ende des 8. Jh. Seine Überlegenheit über den Gott der Unterwelt. Bei militärische Krisen brachte man ihm auch Menschenopfer dar.“ (S.156)

Große Literatur

Wie verhält sich das zuvor Gesagte zum Zug Israels von Ägypten durch die Wüste? Wie verhält es sich zum Berg Sinai, wo Mose die Tafeln des Gesetzes empfängt und dem widerspenstigen Volk den Monotheismus einbläut? Ganz einfach: Der Sinai und die Wüstenwanderung sind eine iterarische Konstruktion, die hier und da historische Elemente spiegelt. Literatur, und wie viele Teile der Bibel: große Literatur.

Historisch-kritisch arbeitende Wissenschaftler wie Thomas Römer versuchen, aus einzelnen Elementen der Überlieferung ein Puzzle zusammen zu stellen, das mehr oder weniger die historischen Vorgänge wiedergibt. Diese Diskrepanz gilt auch für die Gestalt des Mose. Über den historischen Mose weiß man fast nichts. Aber an ihn haben sich immer mehr Geschichten und Überlieferungen ankristallisiert. So wurde er zur gewaltigen literarischen Gestalt. Es ist ein wenig wie das Verhältnis zwischen dem Dr. Johannes Faustus aus Knittlingen (wenngleich es für ihn wenigstens ein Museum gibt) und der von Goethe geschaffenen Gestalt. Solche historisch-kritische Theologie ist nicht unproblematisch. Sie entlastet zwar einerseits Kirche und Theologie vom Geruch, finster Unglaubhaftes zu behaupten. Der Theologe will gemeinhin kein Dunkelmann sein. Sie nimmt aber dem Glauben sein liebstes Kind, das Wunder wie es im „Faust“ heißt. Alles wird diesseitig. Jeder heilige Text zu Literatur. Das hat sich in der Theologe des aufgeklärten Westens weithin durchgesetzt (mit großen Ausnahmen im konservativ-evangelikalen Bereich). Anderswo aber kaum. „It’s a luxury for the West“, sagte mir ein Professor der Theologie in Addis Abeba.

Gedächtnisspuren

Hierher gehört auch der nicht unprovozierende Titel des ganzen Buches: „Die Erfindung Gottes“ („L’invention de Dieu“ im fanzösischen Original). In der Einleitung spricht Römer von einer Art „kollektiver Erfindung“, „die beständig auf bestimmte historische und soziale Zusammenhänge reagiert hat“. Dabei seien auch „Gedächtnisspuren“ älterer Überlieferungen und Ereignisse“ bewahrt worden. Vielleicht auch eine Gedächtnisspur zum Monotheismus Echnatons im 13. Jahrhundert v. Chr. Das Konzept solcher Spuren gibt auch Sigmund Freuds Schrift „Der Mann Moses und die Monotheistische Religion“ einen Resthauch von Plausibilität.

Pastörlich gesprochen: Uns liegt nur Sprache vor. Man kann sich in diesem Raum bewegen, leben und wenn man will auch glauben. Entweder das Ganze ist ein Wunder oder gar nichts. Nur so ist aufgeklärte Religion möglich. Praktisch gesagt: Wer sich den unmittelbar vor Augen liegenden Aufgaben stellt – der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit, dem Verständnis, dem Verzeihen, dem Segen, dem Ritus und der Musik –, hat es nicht nötig, sich dauernd mit der Frage nach dem großen, fernen und verborgenen Gott zu beschäftigen. Er kann da viel auf sich beruhen lassen. Er braucht keine Ereignisse, die gleichsam aus anderen Welten durch die Wand fallen, keine Zeichen und Wunder. Für den, der (oder die) dazu begabt und willens ist, bleibt reichlich Raum für mystische Erfahrung in anderen Bereichen von Bewusstsein und Unterbewusstsein.

In der Bibel gibt es weder ein Wort für Polytheismus noch für Monotheismus. Polytheismus kommt zum ersten Mal bei Philo von Alexandria im 1. Jahrhundert n. Chr. vor, Monotheismus bei den europäischen Deisten im 18. Jahrhundert. Der Monotheismus entwickelt sich also nicht entlang eines Begriffs, sondern im Vollzug von Kultus und Gebet. Und das war ein langer und regional unterschiedlicher Prozess voll Spannung und Polemik bis schließlich der römische Feldherr Pompejus im Jahre 63 vor Christus den Tempel in Jerusalem betrat und zu seinem Erstaunen feststellte, dass darin tatsächlich kein Götterbild stand. Römer schreibt zu diesem Weg: „Die Quellen belegen, dass es noch bis zum Ende des 5. Jh. möglich war, einen Opferkult außerhalb Jerusalems auszuüben und Jhwh zusammen mit anderen Gottheiten zu verehren.“ (S.251) Wie so oft ist die Wahrheit auch hier konkret. Du sollst keine anderen Götter haben „neben mir“ in 2. Mose 20,3 heißt hebräisch: „al panai“ – „mir ins Angesicht“. Die Vorstellung war ursprünglich wohl die, dass man der Statue Jhwhs im Tempel keine anderen Götterbilder beigesellen solle.

Religion ohne Staat

Sicher ist, dass sich der bildlose Monotheismus erst nach dem Ende der Staatlichkeit Israels durchgesetzt hat, das Judentum also eine Religion ohne Staat ist wie andere Religionen auch. Das nimmt der Neugründung des Staates Israel im 20. Jahrhundert jede theologische Begründung. Es gibt Gründe für den modernen Zionismus in Verfolgungen, in Nationalismus und im kolonialistischen Denken der Zeit, und die faktische Gründung des Staates wäre ohne die Schubkraft des Entsetzens über den Holocaust wahrscheinlich gar nicht möglich gewesen. Das Judentum als Religion des Buchs und der Synagoge aber hat zwar Wurzeln in der Nationalreligion des alten Israel der Könige. Es ist aber mit ihr nicht identisch und überhaupt erst aus dem Verlust der Staatlichkeit durch die babylonische Eroberung 587 v. Chr. entstanden.

Römer pointiert das im Schlusswort seines Buches: „Entscheidend für die Wandlung vom einen Gott Jhwh zum einzigen Gott Jhwh war die Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. und die geographische Zerstreuung der Judäer […]“ (S.271) Dies ist festgehalten in den fünf Büchern Mose, dem Pentateuch, der unter Aufnahme vieler älterer Texte in der Mitte der persischen Zeit, zwischen 400 und 350 v. Chr. veröffentlich wurde. Römer: „Der Pentateuch findet seine Kohärenz darin, dass in ihm alle göttlichen Gebote enthalten sind, die dem Volk über Mose am Sinai übermittelt wurden. Das bedeutet, man braucht weder ein Königtum noch ein eigenes Land (der Pentateuch endet vor der Landnahme), um den Willen Jhwhs zu erkennen und ihm gemäß zu leben.“ (S.272) Daraus folgt Römers Fazit „In gewisser Weise erfindet das entstehende Judentum so die Trennung zwischen politischer Macht und religiöser Praxis sowie einer religiösen Praxis und einem bestimmten Territorium.“ Wie Heinrich Heine sagt: Die Juden haben ein portables Vaterland.

Helmut Falkenstörfer.