Olymp und Pfarrerschmiede

 

Drecoll, Tübinger Kirchengeschichtler mit Schwerpunkt Alte Kirche und Ephorus im dortigen Stift, hat hier eine umfassende, beispiellose Untersuchung und einen umfangreichen Tagungsband vorgelegt. Schon vor 50 Jahren hat man beim Gedenken festgestellt, dass nach wie vor zu sozialen Aspekten der Stiftsgeschichte dringender Forschungsbedarf besteht.

2012 jährte sich das Gründungsdatum zum 750. Mal. Zu diesem Anlass fand im Tübinger Stift eine prominent besetzte Fachtagung statt, deren Beiträge in dem vorliegenden Band dokumentiert sind.

Als die Stadt Tübingen Anfang 1262 dem Augustinereremitenorden ein Grundstück zuwies, handelte es sich um eine minderwertige Randlage. Damit begann die Geschichte; nach der Reformation wurde ab 1547 das „Herzogliche Stipendium“ untergebracht, das heutige Evangelische Stift. Damit war dem reformatorischen Anliegen, Klöster für Unterrichtszwecke zu benutzen, in besonderer Weise Rechnung getragen worden. Der monastische Charakter des Hauses blieb – auch in dem radikalen Umbau Ende des 18. Jahrhunderts – unverkennbar bis auf den heutigen Tag erhalten.

Die genannte Fachtagung hat die vielfältige Geschichte dieser unverzichtbaren Bildungsinstitution akribisch untersucht und neue Forschungsbeiträge hervorgebracht, neue Perspektiven und Zusammenhänge. Beiträge zur Geschichte des Stifts stehen neben solchen zu den Stipendiaten. Beleuchtet werden auch die Bedeutung für die Philosophiegeschichte (Hegel, Schelling), die Theologie (Ferdinand Christian Baur, David Friedrich Strauß) und die Literaturgeschichte (Gustav Schwab, Friedrich Hölderlin, Eduard Mörike, Wilhelm Hauff).

Die Übertragung des „Stipendiums“ in das Eigentum der Kirche nach 1918, die Zeit des Nationalsozialismus und die Einführung der heute noch geltenden bewährten Stiftsordnung geben Einblick in die massiven Veränderungen der Institution im 20. Jahrhundert.

Der „schwäbische Olymp und die württembergische Pfarrerschmiede“ ist die Avantgarde der Landeskirche und nicht nur für die Frühzeit der Universität von Bedeutung. Das gemeinsame Studieren und Zusammenleben von Lernenden und Lehrenden im Stift soll zu biblisch begründeter, in Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Denken der Gegenwart verantworteter theologischer Bildung (, wozu auch die Auseinandersetzung mit anderen Wissenschaften gehört,) und geistlicher Lebensgestaltung helfen, wie es in der gültigen Stiftsordnung (von 1974) ausführlich heißt.

Die ersten Stiftlerinnen zogen im Wintersemester 1968/69 im Stift ein. „Gewisse Auswüchse“ (zum Beispiel der Versuch, wohl nach dem Abendessen „gesellige Vedreinigungen“ mit den Damen auf den Stiftsstuben abzuhalten) wurden, „sobald sie bemerkt wurden“, durch Verbot des Ephorats beseitigt (so ein zeitgenössischer Bericht des Ephorus). Diese Tendenzen markieren für den Ephorus „Veränderungen“, die er meinte, durch „Regelungen“ des Stifts pflichtbewusst „beherrschen“ zu können.

Walter Schmidt.