Abschiebung statt Schutz – Griechisches Asylrecht ist ein Angriff auf die humanitären Verpflichtungen der EU

 

Neuer Bericht zeigt, wie das Asylsystem die Rechte von Schutzsuchenden verletzt und warnt, dieses könnte eine Blaupause für Europa werden

Der Bericht “Diminished, Derogated, Denied” dokumentiert, wie Geflüchtete in den so genannten Hotspots auf den griechischen Inseln ohne ausreichend Zugang zu Schutzvorkehrungen und Betreuungsangeboten inhaftiert werden, einschließlich Kindern, schwangeren Frauen und Menschen mit Behinderungen. Das griechische Asylsystem macht es Geflüchteten zudem äußerst schwer, ihre Fluchtgründe ordnungsgemäß vorzutragen und von den Behörden prüfen zu lassen. Der Griechische Flüchtlingsrat und die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam warnen, das seit dem 1. Januar 2020 geltende griechische Asylrecht könnte eine Blaupause für die Reform des EU-Asylsystems werden.



 

(Berlin, 2. Juli 2020) Das neue griechische Asylrecht ist darauf ausgelegt, Geflüchtete abzuschieben, statt ihnen Schutz und Sicherheit zu bieten. Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen, bietet es kaum Chancen auf ein faires Verfahren, sondern setzt sie der Gefahr von Missbrauch und Ausbeutung aus. Das kritisierten der Griechische Flüchtlingsrat (GCR) und die Nothilfe- und Entwicklungsorganisation Oxfam in einem neuen Bericht. Darin zeigen sie auf, wie das seit dem 1. Januar 2020 geltende neue Asylrecht die Rechte von schutzsuchenden Menschen verletzt und warnen, es könnte eine Blaupause für die Reform des EU-Asylsystems werden.

Der Bericht „Diminished, Derogated, Denied“ dokumentiert, wie Geflüchtete in den so genannten Hotspots auf den griechischen Inseln ohne ausreichend Zugang zu Schutzvorkehrungen und Betreuungsangeboten inhaftiert werden, einschließlich Kindern, schwangeren Frauen und Menschen mit Behinderungen. Das griechische Asylsystem macht es Geflüchteten zudem äußerst schwer, ihre Fluchtgründe ordnungsgemäß vorzutragen und von den Behörden prüfen zu lassen.

Mit der Reform des Asylrechts wurden außerdem Fristen für Beschwerden gegen abschlägige Bescheide drastisch verkürzt, so dass diese häufig bereits verstrichen sind, wenn die Betroffenen von ihrem abgelehnten Antrag erfahren. Zudem sind Asylsuchende verpflichtet, ihre Beschwerde über einen Anwalt einzureichen. Doch auf der griechischen Insel Lesbos gibt es nur einen einzigen staatlich finanzierten Rechtsbeistand.

„Das neue griechische Asylrecht ist ein unverhohlener Angriff auf die humanitären Verpflichtungen Europas zum Schutz von Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung fliehen. Die EU macht sich mitschuldig daran, denn sie benutzt Griechenland seit Jahren als Testlabor für ihre Migrationspolitik. Wir sind äußerst besorgt, das neue griechische Asylrecht könnte als Blaupause für die anstehende Reform des europäischen Asylsystems dienen“, erklärt Evelien van Roemburg, Migrations-Expertin im Brüsseler Büro von Oxfam International.

Vermehrt Missbrauch und Gewalt während Covid-19-Beschränkungen

Viele Geflüchtete müssen Monate oder Jahre auf ihre erste Anhörung bei den Behörden warten. In dieser Zeit dürfen sie die EU-finanzierten Camps, mit den dort herrschenden unmenschlichen Bedingungen, meist nicht verlassen. Viele der bereits traumatisierten Menschen sind so erneut der Gefahr von Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Während der Covid-19-Beschränkungen der vergangenen Monate kam es zu einem Anstieg der Fälle sexueller Belästigung und es gab Berichte über Vergewaltigungen und häusliche Gewalt.

Zeugenaussagen, die der Griechische Flüchtlingsrat im Camp Moria gesammelt hat, unterstreichen die katastrophalen Lebensbedingungen dort. Eine somalische Geflüchtete beschreibt den mangelnden Schutz für alleinstehende Frauen: „Männer bedrohten sie, nahmen ihnen ihre Handys ab, kamen in ihre Zelte. Sie hatten keine Unterstützung oder Schutz, um in der Nacht die Toiletten und Waschbereiche zu nutzen. Sie mussten sich selbst verteidigen, denn die Polizei oder Sicherheitsdienste waren nicht da.“

Zugang zu fairem Asylverfahren gewährleisten

Das von der EU finanzierte Hotspot-Camp Moria ist sechsfach überbelegt. Die Menschen dort haben kaum Zugang zu medizinischer Versorgung, sauberen Toiletten oder Handwaschgelegenheiten und die gedrängten Lebensverhältnisse machen Abstandhalten unmöglich, eine wesentliche Voraussetzung dafür, die Verbreitung des neuen Coronavirus zu verhindern.

Oxfam und der Griechische Flüchtlingsrat fordern von der griechischen Regierung und der EU, das neue griechische Asylrecht sofort zu überprüfen und allen Asylsuchenden in Griechenland Zugang zu einem fairen und effektiven Verfahren zu geben. Außerdem fordern sie die EU-Mitgliedsstaaten auf, gemeinsam Verantwortung für den Schutz von Geflüchteten und Asylsuchenden in Europa zu übernehmen.

Die EU-Kommission wird bald ihren Entwurf für einen neuen Migrations- und Asylpakt vorstellen, der die Richtung für die anstehende Reform der Asyl- und Migrationspolitik der EU vorgeben wird. Der Pakt wird aller Voraussicht nach vorschlagen, mehr Entwicklungsgelder einzusetzen, um Migration nach Europa zu unterbinden. Er könnte zudem die humanitäre Katastrophe, die in Griechenland seit Jahren stattfindet, fortschreiben.

Der Bericht „Diminished, Derogated, Denied“ basiert auf Gesprächen mit Geflüchteten im Camp Moria sowie Erfahrungen von Anwält*innen, Sozialarbeiter*innen und anderen Expert*innen sowie Berichten und Dokumenten der griechischen Regierung, des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen. Der vollständige Bericht ist hier als PDF-Datei zu finden.