Die EKD auf dem Weg zu einer neuen Friedensdenkschrift: drei Wegmarken
Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (November 2024)
Bis Ende 2025 will die EKD ein neues friedensethisches Grundlagendokument erarbeiten. Einblicke in den Ablauf bis dahin gab es bereits beim „Siebten digitalen Studientag zur Friedensethik“ der Evangelischen Akademien am 28. Oktober 2024. Es gibt Punkte, wo ich besorgt bin, dass qua Definition von Schlüsselbegriffen Ausblendungen erheblichen Ausmaßes provoziert werden, die die geplante Friedensdenkschrift in ihrer Wirkung und Autorität merklich einschränken könnten.

1. Quelle
Die Evangelischen Akademien haben am 28. Oktober 2024 ihren „Siebten digitalen Studientag zur Friedensethik“ durchgeführt. Er stand unter der Titelfrage „Wie enden Kriege?“. Antworten darauf im Hinblick auf den Ukraine-Krieg gab es aber kaum. Man verblieb dazu im Superabstrakten.
Keine Rolle spielte das anschauliche Buch des Freiburger Historikers Jörn Leonhard mit dem Titel „Über Kriege und wie man sie beendet“, es kam nicht vor. Das ist ein wirklicher Mangel. Hier ein Blog, ein Gespräch mit dem Autor zu seinem Buch, in dem man ihn bittet, die Thesen seines Buches auf den Ukraine-Krieg zu beziehen. Aus diesem Gespräch kann man sich zu der Titelfrage der Veranstaltung der Evangelischen Akademien wirklich unterrichtet empfinden.
2. Basisentscheidungen für ein friedensethisches Grundlagendokument der EKD
Interessant aber war, was nebenläufig zu erfahren war zum Stand des Prozesses, der bis Ende 2025 zu einem neuen friedensethischen Grundlagendokument führen soll. In die Erarbeitung ist der Rat der EKD eng eingebunden. Der Text soll bei einer Konferenz für Friedensarbeit im Raum der EKD im Januar 2026 vorgestellt werden.
Grundmotiv für den Wunsch, die Friedensdenkschrift von 2007 zu überarbeiten, ist, was seit Februar 2022 als Mangel empfunden wird: Dass man die Kriegsführung gegen den Aggressor nicht mit Verweis auf eine Friedensdenkschrift einfach als friedensfördernd gutheißen kann. Es fehlt gleichsam, auch wenn die Wortwahl bestritten wird, denn doch die Kategorie des “gerechten Krieges“. Die wurde 2007, so scheint es heute, gleichsam aus Versehen abgeschafft, weil, so wird den Autoren der damaligen Denkschrift unterstellt, diese den interstaatlichen Krieg für abgeschafft hielten.
Einblicke in das Geplante mit einer Skizze zum Prozess, der da hinführt, gab Friederike Krippner, Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin und leitendes Mitglied der Friedenswerkstatt der EKD. Die Grundidee der Denkschrift 2007 mit ihrem Schlüsselbegriff „gerechter Friede“ sei: Frieden setze sich durch Recht durch – Friede ist hier das Subjekt, vorgestellt wird ein Akt der Selbstdurchsetzung. Die Denkschrift 2007 denke in einer grundsätzlich gewaltlosen Welt. 2007 habe man unheimlich an das Recht glaubt. Die Denkschrift atme das Völkerrecht – schon bei Augustin sei das so gedacht gewesen. Es gelte jedoch: Nicht jede Kriegsantwort sei unethisch.
Eine EKD-Denkschrift beansprucht verbindlichen Charakter. Daher sollten Schlüsselbegriffe in ihr sorgfältig bedacht werden, sie sollten keinerlei Spielraum für Missverständnisse erlauben. Mir sind daher drei begriffliche Pfeiler der kommenden Denkschrift wichtig. Es sind Punkte, wo ich erfahrungsgemäß besorgt bin, dass qua Definition von Schlüsselbegriffen Ausblendungen erheblichen Ausmaßes provoziert werden, die die Friedensdenkschrift 2026 in ihrer Wirkung und Autorität merklich einschränken könnten.
- Erst einmal denke ich an die „Vorrangige Priorität der Gewaltlosigkeit“; dass Frieden als mehrdimensionaler Prozess zu denken sei, und Schutz vor physischer Gewalt gehöre dazu.
Eine solche Wortwahl klingt so, als ob die von von Clausewitz („Vom Kriege“) wie in der UN-Charta vorgesehenen gewaltfreien Mittel der Kriegsführung, via die Ausübung von Zwang, nicht angemessen mitbedacht würden. „Krieg“ auf „Gewalt“ (statt korrekt breiter auf „Zwang“) zuzuspitzen, lenkt von zentralen gewaltfreien Optionen des Konfliktaustrags ab. Wenn der Leitsatz lautet „Vorrangige Priorität der Gewaltlosigkeit“, steht die Frage im Raume: Wie hältst Du es mit gewaltfreien Formen der Zwangsausübung? - Der Bezug auf das Völkerrecht darf nicht zeitlos abstrakt sein. In der Tradition friedenspolitischer Äußerungen der Evangelischen Kirche in Deutschland hat eine spezielle technologische Entwicklung, die der nuklearen Waffen, einstmals eine zentrale Rolle gespielt. Aktuell erleben wir den säkularen Trend der Digitalisierung. Der vermag die Kriegsführungsoptionen beziehungsweise die Stabilität von Abschreckungsoptionen vergleichbar fundamental zu verändern. Angesichts dessen die Geltung beziehungsweise Anwendbarkeit eines von fundamentalen technischen Veränderungen unbeeindruckten Rechtsrahmens zu unterstellen, erscheint weltfremd.
- Als das geltende Völkerrecht, auf das Bezug genommen wird, darf nicht lediglich die UN-Charta verstanden werden. Nicht ohne Grund war die Sicherheitsordnung, die für Europa nach Ende des Kalten Krieges geschaffen wurde, nicht einfach die nach UN-Charta. Zur speziellen Sicherheitsordnung hier gehörte die OSZE, zudem ein ganzes Geflecht von Rüstungskontrollverträgen, das alles an militärischen Fähigkeiten im Detail begrenzte und damit die abstraktere Ordnung absicherte. Das wird im heutigen Denken zu „Sicherheitsordnung“ allzu häufig übergangen. Und selbst wenn man allein auf die Sicherheitsordnung gemäß UN-Charta abstellen will, so hat man die interpretatorische Wahl, die UN-Charta als potentiell funktionsfähig oder als defiziente Ordnung zu rubrizieren. Entstehungsgeschichtlich gesehen ist sie eine defiziente Ordnung, und das mit einem nicht-neutralen Anreiz für Weltmächte in spe. Die damit angelegten Perversion dieser ursprünglich ideal konzipierten Ordnung zu einem Prärogativ-System für Weltmächte in spe (nach Mattias Kumm) in der kommenden EKD-Denkschrift als funktionsfähig unterstellt zu sehen, hielte ich für unakzeptabel geschichtsklitternd. Das Modell der Gewaltenteilung und Monopolisierung der Ausübung von Zwang und – ultima ratio – Gewalt stand 1945 Pate, wurde aber sehr bewusst auf globaler Ebene nicht umgesetzt.
Der Weltrechtsstaat ist eine Utopie. Ihn kontra-faktisch als realisiert zu unterstellen, birgt eigene Risiken für den Frieden.
Hans-Jochen Luhmann, Mitglied der Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).