Die Nord Stream-Sprengung im Schiedsgerichtsurteil Uniper vs. Gazprom vom Juni 2024

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (Juli 2024)

Zur Erinnerung: Im Gefolge des russischen Angriffs auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist es im Laufe des Jahres 2022 zur Minderung beziehungsweise Einstellung von Lieferungen russischen Pipeline-Gases nach Westeuropa gekommen – im Westen wird das von Spitzenpolitikern gerne als Einsatz von „Energie als Waffe“ beziehungsweise als Versuch einer „Erpressung“ überzeichnet. Mit der Einschränkung verbunden war, dass Verpflichtungen Gazproms unter langfristigen Gas-Lieferverträgen nicht mehr eingehalten wurden. Daraufhin haben etliche Großabnehmer mit Sitz in der Europäischen Union Klagen vor Schiedsgerichten eingereicht. So auch die deutsche Ruhrgas-Nachfolgerin Uniper.

Summarisch gesprochen waren es zwei Anlässe, die jeweils zu einer Welle von Verfahren geführt haben.

  1. Der erste Anlass war eine Reaktion Russlands auf die „Immobilisierung“ von Währungsreserven der russischen Zentralbank auf den Konten westlicher Banken. Die hatte zur Folge, dass Russland über vertragsgerecht gezahlte Entgelte für seine Erdgaslieferungen nicht mehr verfügen konnte. In der Folge verlangte die russische Seite die Zahlung in Rubel, per 1. April 2022. In einigen Staaten Europas wurde das als „Vertragsbruch“ eingeordnet und so ernst genommen, dass sie behaupteten, unter dieser Bedingung nicht zahlen zu können. Folglich stellte Gazprom direkte Lieferungen an diese nicht zahlungswilligen Staaten im Laufe des Aprils 2022 ein. Sie wurden stattdessen aus dem Westen, also auch mit Gas aus russischen Quellen, nun indirekt, mitversorgt.
  2. Der zweite Anlass war ein ebenfalls durch westliche Sanktionen „angeblich“ – in diesem Fall muss man dazusetzen – getriggerter Konflikt. Es ging um die Gasturbinen in Portovaya (nahe St. Petersburg), welche den Druck für den Gas-Transport durch die Pipeline Nord Stream 1 bereitstellen. Russland behauptete, die Gasturbinen der westlichen Sanktionen wegen nicht mehr sicher betreiben zu können, ab Mitte Juni 2022 kam es zu verringerten Lieferungen, seit Ende August 2022 wurde über diese Pipeline kein Gas mehr geliefert.

Gazprom hat dafür in einem Schreiben an seine Kunden in Europa, neben Uniper sind das RWE, ENI, OMV und SPP (Slowakei), force majeur beansprucht. Uniper wies in seiner Klageschrift die Berufung auf force majeur zurück. Das war im November 2022, also nachdem ein dritter Anlass eingetreten war, sich auf force majeur zu berufen, nämlich die Sprengung beider Nord Stream 1-Stränge am 26. September 2022.

Zu einem der Verfahren aus der zweiten Welle, dem im November 2022 angestrengten Verfahren des deutschen Unternehmen Uniper (faktisch Nachfolger von Ruhrgas) gegen Gazprom vor einem Schiedsgericht in Stockholm, hat es am 7. Juni 2024 einen Entscheid gegeben. Der wurde zwar nicht veröffentlicht, doch aus Branchenkreisen war Wesentliches zusammenzustellen, was Jonathan Stern vom Oxford Institute for Energy Studies getan hat.

Der überraschende Entscheid

Das Schiedsgericht hat entschieden – allerdings in einem Verfahren, dem Gazprom nicht beigetreten ist. Uniper hat im Ergebnis einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 13 Milliarden Euro zugesprochen erhalten. Das entspricht in etwa dem Schaden, den Uniper im November 2022 öffentlich beziffert hatte.

Das impliziert, dass das Gericht Uniper auch einen Schaden aus der Nicht-Belieferung nach dem 26. September 2022 zugestanden hat, also auch nach dem Zeitpunkt, da Nord Stream 1 wegen Sabotage nicht mehr nutzbar war. Das ist ein bemerkenswertes Ergebnis, weil doch eine solche Sprengung gleichsam ein Musterbeispiel für ein force majeur-Vorkommnis ist. Offensichtlich hat das Schiedsgericht auch die Liefereinschränkungen wegen der Einschränkungen der Gasturbinen in Portovaya nicht als force majeur-bedingt anerkannt.

Force majeur im Falle einer Sprengung des Transportmittels nicht anzuerkennen, ist nur möglich, wenn

  • entweder das Gericht gleichsam „faul“ war und angesichts fehlenden Widerspruchs (Gazprom hat sich bei dem Verfahren nicht vertreten lassen) unbesehen für das von Uniper Beantragte votiert hat;
  • oder das Gericht eine Urheberschaft des russischen Staates für wahrscheinlich hält und Gazprom das kausal zurechnet, beide also gleichsam als einen Akteur ansieht.

Die näheren Begründungen des Gerichts für dieses überraschende und rätselhafte Urteil würde man gerne einsehen – doch das ist der Öffentlichkeit verwehrt.

Hans-Jochen Luhmann, Mitglied der Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>