Lautlos entsteht Europas militärisch-industrieller Komplex II

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Im Mai 2016 habe ich auf die eher fachlichen Vorbereitungen für eine Europäische Verteidigungs-Gemeinschaft (EVU) hingewiesen. Schlüsselauslöser für die Erweckung einer seit langem in den europäischen Verträgen festgehaltenen Option war Dreierlei:

  • Die historische Neuerung, dass die USA es sind, die den Wunsch äußern, dass Europa sich sicherheitspolitisch auf eigene Beine stellt, unabhängig von den USA, also letztlich ohne die NATO. Dass sie auf die „Kontrolle“ Europas, zuvörderst Deutschlands, sich entschlossen haben zu verzichten.
  • Das russische Agieren in Reaktion auf den Wechsel der Ukraine im Februar 2014 in das westliche Lager – das ist das Aufkommen einer neuen Bedrohung, die zu dem, was Europas Militärs meinen bekämpfen können, so präzise zu passen scheint.
  • Die europäischen Eliten wollen Europa einigen – also nutzen sie eine jede Krise dazu, den Zusammenhalt in der EU zu stärken, die diesbezügliche Politk-Säule vertiefend auszubauen. Nun ist die Sicherheitspolitik dran – „Putin sei Dank“. Nach dem plebiszitären Brexit-Votum in Großbritanien gilt das erst recht.

Es scheint, dass nun, nach konzeptioneller Vorbereitung, die ersten politischen Schritte gegangen werden. Auf zwei davon weise ich hier hin.

(i) Der EVP-Vorstoß

Die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP beziehungsweise EPP) im Europäischen Parlament hat dazu am 22. Juni 2016 ein Positionspapier verabschiedet. Joseph Daul, der Präsident dieser EU-Kopf-Partei, der in Deutschland CDU und CSU angehören und in deren Vorstand der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze ist, hat dies parallel in einem persönlichen Statement unterstrichen.

Stichwörter in den Forderungen sind inhaltlich immer „permanentes Hauptquartier“ sowie „EU-Kampfgruppen“ (‚EU Battle Corps‘). Formal, was die politischen Strukturen angeht, sind die Hauptforderungen

.. … die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in diesem Gebiet und die Ernennung eines Europäischen Kommissars für Verteidigung“.

Parallel legte der wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments eine Ausarbeitung vor, in der ein „Europäisches Weißbuch“ für eine Europäische Verteidigungs-Union skizziert wird.

(ii) Der Mogherini-Vorstoß

Zeitlich orchestriert ist das alles um den Tag nach der Brexit-Entscheidung herum. Am Tage danach legte die Außen- und Sicherheitsbeauftragte der EU, Federica Mogherini, ihre lange erwartete Ausarbeitung unter dem Titel „A Global Strategy for the European Union’s Foreign And Security Policy“ vor. Auch da müsste das Thema EVU gegebenenfalls, wenn es schon reif genug ist, auftauchen, und dort ist der angemessene Ort.

Doch die Ausarbeitung bleibt sehr abstrakt – eben deshalb das Drängen von Seiten der Konservativen Parteien. Das Stichwort „EVU“ erscheint nicht. Betont wird immer die Zusammenarbeit mit der NATO, wobei die offenkundigen (potentiellen) Doppelstrukturen das Hauptproblem darstellen. Am weitesten geht der Satz, im Anschluss an ein wiederholtes Bekenntnis zur Kooperation innerhalb der NATO:

„Europeans must be better equipped, trained and organised […], as well as to act autonomously if and when necessary.“ (p. 20)

„to act autonomously“ ist nur eine Formel, die für einzelne Operationen trägt. Das ist noch nicht eine Formel, die den Europäern erlaubt, den europäischen Sicherheitsraum „autonom“ zu gestalten.

Zu der Grundsatzentscheidung der USA, die Europäer „vom Haken zu lassen“, ist im Mogherini-Papier keine Rede. Frau Mogherini hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung aber sehr deutlich die Schlüsselentscheidung, die in den USA getroffen zu sein scheint, bekanntgegeben. Hier ihre Formulierung:

„Zum ersten Mal in der Geschichte hören wir von der anderen Seite des Atlantiks den Wunsch, die europäische Verteidigung gestärkt zu sehen.“

Das ist zweideutig. Man könnte diesen Satz als Hinweis darauf verstehen, dass die Europäer, absprachegemäß, mehr Geld für militärische Zwecke bereitstellen sollten. Das aber ist eindeutig nicht gemeint, denn diese Forderung ist geschichtlich nicht neu sondern ein alter Hut. Neu ist allein die Erlaubnis der USA, dass Europa sich militärisch auf eigene Beine stellt.

Dr. Hans-Jochen Luhmann ist Senior Expert am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH.

Gegeben die populistischen Strömungen in den westlichen Industriestaaten, auch in den USA, die sich dort in dem Wahlkampferfolg Trumps niederschlagen, kann es eines Tages sehr schnell gehen mit dem weitergehenden Signal aus Washington: Wir wollen nicht mehr. Kehrt den Dreck vor Eurer Haustür alleine zusammen.

Voraussetzung dafür aber ist, dass die USA auf das Feindbild Russland verzichten können. Auch damit kann es sehr schnell gehen. Es reicht ja das Feindbild China – wenn denn, nach aller historischen Erfahrung, ein Feindbild selbst zur Selbststabilisierung eines Weltreiches unverzichtbar ist.

 

 

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>