„Sauberes“ Gas in Europa

 

Im Jahre 2050 soll mindestens die Energieversorgung in der EU “klimaneutral” geworden sein. Das dann produzierte und in Leitungssystemen verteilte Gas muss dann vollständig entweder aus anderen als fossilen Quellen stammen beziehungsweise, sofern doch, dann vollständig decarbonisiert sein. Die Zukunft des Endenergieträgers “Gas” liegt also im Wandel seiner Herkunft; das steht in den nächsten zwei Jahren zur Entscheidung an.

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann



In einem früheren Blog-Beitrag hatte ich auf „Die Zukunft des Gases im klimaneutralen Europa“ hingewiesen. Begriffliche Voraussetzung war, „Gas“ nicht länger mit „Erdgas“ gleichzusetzen, die Pointe war: Die Zukunft des Endenergieträgers „Gas“ liegt im Wandel seiner Herkunft – sonst wird es diesen Endenergieträger „in einem klimaneutralen Europa“ nicht mehr geben, sonst wird darin Elektrizität das alleinige Sagen haben und es es eine „all electric“-Industriegesellschaft in Europa geben. Das steht in den nächsten zwei Jahren zur Entscheidung an.

„Gas“ ist heute im wesentlichen „Erdgas“, also Methan (CH4) aus fossilen Quellen, welches durch Bohrungen aus der „Erde“ gefördert wird – im Angelsächsischen ist die Bezeichnung „natural gas“, was mit „grün“ aber offenkundig nichts zu tun hat. Es gibt aber keinen Grund für die Gleichsetzung, Gas muss weder Methan noch fossilen Ursprungs sein. Das ist schließlich beides nicht immer so gewesen. Gas als leitungsgebundener Energieträger hat als „Stadtgas“ begonnen, und das bestand überwiegend aus Wasserstoff (H2) – deswegen auch dessen Bezeichnung „Wassergas“. Und Gas muss auch nicht auf ewig aus der Erdkruste gefördert sein. Die sogenannten Boden-„Schätze“ dieses Typs haben mit der Entscheidung für ein „klimaneutrales Europa“ ihren Wert, den Charakter eines „Schatzes“, bereits verloren.

Im Jahre 2050 soll mindestens die Energieversorgung in der EU „klimaneutral“ geworden sein. Das dann produzierte und in Leitungssystemen verteilte Gas muss dann vollständig entweder aus anderen als fossilen Quellen stammen beziehungsweise, sofern doch, dann vollständig decarbonisiert sein.

Die Alternative dazu: dann ohne Gas auskommen. Elektrizität, welche bereits weit voran gekommen ist mit dem Prozess der Transformation hin zu erneuerbaren Quellen, stünde dann alleine da – auf ein Komplement, einen zweiten Endenergieträger neben ihr, wäre dann verzichtet. Das ist prinzipiell möglich.

Einen Transformationsprozess bei Gas gäbe es auch dann. Die Gasinfrastrukturen, die sich gegenwärtig sogar noch in einem Prozess des Zubaus, der Ausweitung der Kapazitäten, befinden, wären dann auf Abriss gestellt. Die Transformation wäre ein „decommisioning“. Für Deutschland wird der Wert allein der bestehenden Anlagen der Gaswirtschaft heute mit etwa 600 Milliarden Euro veranschlagt. In 30 Jahren sähe es dann so aus: keine Verbrennungsprozesse mehr in Gebäuden; „geheizt“ wird dann nur noch entweder direkt-elektrisch oder, wenn denn gespeicherte Energie genutzt wird, durch Zugriff auf in Wasser Jahreszeiten übergreifende gespeicherte Wärmemengen niederer Temperatur, die durch (elektrisch betriebene) „Wärmepumpen“ auf dasjenige Temperaturniveau angehoben beziehungsweise verdichtet werden, dass ein Abstrahlungseffekt Behaglichkeit zu produzieren vermag. Verbrennungsprozesse in Straßenfahrzeugen oder in der Binnenschifffahrt gibt es auch keine mehr. Und noch mehr: Es wird dann in Europa auch keine Elektro-Kfz derart geben, die mit Gas, ohne Verbrennung, mit Kraft aus Brennstoffzellen angetrieben werden. Toyoto hat seine Strategie für e-Kfz von Batterie auf Brennstoffzelle umgestellt, Toyoto wäre dann aus dem Markt in Europa ausgeschlossen.

Diese implizite Entscheidung für lediglich einen einzigen Endenergieträger, Elektrizität, war über etwa eine Dekade die faktisch leitende Maxime der Energiewende-Politik in Deutschland. Sie befindet sich gegenwärtig in einem rapiden Prozess der Korrektur: In Brüssel wird mit Hochdruck an der Vorbereitung einer Revision der Gas-Richtlinie gearbeitet, das wird eines der ersten Projekte der neugebildeten Europäischen Kommission sein. Hintergrund ist die Einsicht, dass die erheblichen Speicherkapazitäten eines Gassystems komplementär zur Elektrizität mit ihrer ausgeprägten systemischen Labilität benötigt werden. Damit ist die Perspektive für Verbrennungsprozesse oder Brennstoffzellen-Prozesse aus Kleinquellen (Verkehr; Gebäude) eine ganz andere als während des letzten Jahrzehnts und bis vor kurzem noch. Die Luftreinhaltepolitik wird auf der Tagesordnung bleiben, wird nicht qua Klimapolitik miterledigt und also obsolet.

Der “all electricity”-Regulierungsansatz der Juncker-Kommission

Das Konzept einer alleinigen Abstützung auf Elektrizität im Endverbrauch im Rahmen der Wende hin zu einem klimagerechten Energiesystem war keine deutsche Besonderheit, sondern war auch in der EU so angelegt. Diese „all electric“-Vision wurde auch rund zehn Jahre lang verfolgt. Und sie prägt das in Medien repräsentierte öffentliche Denken weiterhin. Das hat man ins historische Gedächtnis zu nehmen – wir widmen uns mit dem hier gewählten Thema der Aufgabe einer nachträglichen Prägung eines Narrativs.

Wesentliche Anregungen verdanke ich einem Beitrag, deren Autoren Maria Olczak und Andris Piebalgs sind. Die beiden Autoren haben unübliche berufliche Laufbahnen im Hintergrund. Piebalgs war Kommissar für Energie in der ersten Barroso-Kommission – und hat sich entschieden, fachlich weiterzumachen. Heute hat er akademisch eine Teilzeit-Professur an der Florence School of Regulation inne – für seinen andauernden Praxisbezug steht das Amt eines Vorsitzenden des Board of Appeal bei ACER, der Agentur für die Zusammenarbeit der nationalen beziehungsweise EU-mitgliedstaatlichen Energieregulierungsbehörden. Die regulieren die monopolgeneigten Branchen leitungsgebundener Energieträger. Der Board of Appeal ist die zuständige Einspruchs-Instanz, gegen deren Entscheidungen wiederum ein Einspruch zulässig ist, dann vor dem EuGH.

Piebalgs Mitautorin, die Erst-Autorin, Maria Olczak, zeichnet eine vergleichbare Zweigleisigkeit aus. Akademisch ist sie gegenwärtig Research Associate an der Florence School of Regulation, dort zum Bereich Gas. Politisch hat sie unter anderem Erfahrungen gesammelt als Mitglied des Presidency Team an der COP19/CMP9 der UN Klima-Konferenz in Warschau (2018).

Dieses Autorenpaar verfügt über ein historisches Gedächtnis zu Schlüsselentscheidungen in Brüssel – das bringt es wie nebenläufig ein. Geschildert wird die heutige Entscheidungssituation vor dem Hintergrund, wie es mit dem Gas und seiner Marktregulierung in Brüssel in der großen Linie gelaufen ist. Das Clean Energy Package (CEP), das energie-regulatorische Großprojekts der gerade im Abtreten begriffenen EU-Kommission, der Juncker-Kommission, ist im Dezember 2018 abgeschlossen worden. Es weist, im historischen Vergleich, zwei Besonderheiten auf:

  1. The CEP … aims to provide a set of principles which enable the electricity market to respond to the challenges stemming from the increase of variable renewable energy (VRE). This increase is unavoidable if the European Union (EU) is to achieve at least 40% CO2 reductions by 2030.
    Mit dem CEP erst ist zugestanden worden, dass die Klimaschutz- und Erneuerbaren-Aufwuchs-Ziele der EU auch eine strommarkt-regulatorische Herausforderung darstellen. Dieser Änderungsbedarf ist die unausweichliche Implikation der Beschlusslage, dessen, was weit früher entschieden worden ist. Mit dem CEP ist auch angenommen worden. Zugleich muss man eingestehen: Die Umsetzung, die Ermöglichung via Marktreregulierung, ist mehr als eine Dekade verzögert.
  2. Die zweite Besonderheit ist die Differenz zwischen den drei Regulierungsprojekten der drei EU-Kommissionen zuvor einerseits und der jüngsten mit dem CEP andererseits:
    The previous packages set the principles of the functioning of the internal electricity and gas markets, …. The CEP … is focused on the power sector, and is not comprised of a single piece of legislation addressing the organisation of the gas market.

Das heißt mit dem CEP erstmals ist von der EU-Kommission eine Marktregulierung vorbereitet worden, welche die beiden leitungsgebundenen Energieträger Elektrizität und Gas nicht parallel führte. Was mag in der Phase der Konzipierung des Arbeitsprogramms in 2015/16 das Motiv gewesen sein, Gas aus der Reregulierung des Energiesektors mit dem Anspruch, ihn zu „Clean Energy“ zu führen, auszuschließsen? Die Antwort: Man hatte sich begrifflich „verrannt“. Ja, Begriffe sind wie Lotsen, die Kollektive leiten – deswegen von hohem Einfluss in der Politik.

Begrifflichkeit ist entscheidend

Die Anpassung der Marktregulierung für Gas unter dem Mandat der Klimaschutz- und Erneuerbaren Aufwuchs-Ziele der EU ist als nachholend, wenn nicht deutlich verspätet, charakterisiert. Worum es dabei zu gehen hat, ist in der öffentlichen Diskussion nach meinem Urteil nicht wirklich klar. Und diese Unklarheit dürfte auch der Grund für die Verspätung sein. Üblich ist eine Thematisierung unter dem Stichwort „Sektor-Kopplung“.  Die ist definiert als „co-production, combined use, conversion and substitution of different energy supply and demand forms – electricity, heat and fuels.(p. 93) Eine Politik zur Förderung der Sektor-Kopplung gilt als erforderlich, weil im Hintergrund ein Prozess der Elektrifizierung stattfinde, mit dem Effekt:

„the costs of variable renewable energy (VRE) fall and VRE comes to occupy a larger share of power generation around the world.“

Doch das laufe in eine Falle, in die einer Abwertung im Prozess des Erfolgs – und das wiederum brauche eine Korrektur der bestehenden Regulierung, die in den Liberalisierungs-Regulierungen der letzten zwei Dekaden eingeführt worden ist. Dem diene die „Sektor-Kopplung“:

Abundance, or even surplus, of VRE generation might become recurrent in power systems with high shares of VRE. In the absence of other efforts to mitigate them, these surpluses might prompt large-scale curtailment of VRE output, and thus lower the value of VRE, reducing investment attractiveness. To maintain its value, VRE electricity should be expanded into more end uses and supply sectors.“

Soweit die Darstellung im gemeinsamen Papier von IRENA, IEA und REN21. Das Autorenpaar Olczak und Piebalgs nähert sich dieser Notwendigkeit im EU-Kontext, doch im Konkreten mit etwas spitzen Fingern, mit einer übernommenen ungefähren Formulierung nur:

„To achieve the Paris Agreement targets, the EU needs to reduce its greenhouse gas (GHG) emissions by 80–95% by 2050. With the gradual phase-out of coal power plants, the emissions reductions resulting from coal-to-gas switching in power generation will diminish. As a result, the additional GHG reductions will need to “come from within the gas sector” (Spijker, 2018),

Gemeint ist damit, was hier eingangs eingeführt wurde: Das Gas muss in seinem Inhalt, dem fossilen CH4, sowie in seiner Vorleistung, der Emission von fossilem CO2 beziehungsweise dem Entweichen-lassen von fossilem CH4, zunehmend „sauber“ beziehungsweise klimaneutral werden. Das heißt „Gas“ hat sich von seiner Gleichsetzung mit „Erdgas“ zu befreien.

In handelspolitisch etablierter Begrifflichkeit ausgedrückt, geht es darum: Die „Prozessqualität“ von Gas hat sich zu wandeln. Die wird von der „Produktqualität“ unterschieden. Musterkonflikt, anhand dessen das auch in der WTO höchstrichetrlich entschieden worden ist, war der Thunfisch-Fall. Inhaltlich, lebensmittelchemisch, sind die Inhalte in den Thunfisch-Dosen in den Supermärkten alle in etwa gleich. Sie unterscheiden sich in den Fangmethoden – lange Zeit waren Netze üblich, die Delphinen als Beifang den (nutzlosen) Garaus machten. Es wurde als Alternative die Fangmethode mit dem Namen „dolphin-safe“ entwickelt und angewendet – und einige Staaten erlaubten nur noch die Einführ von Thunfisch, der mit dieser modernen Methode gefangen worden war. Es tauchte dann die Frage auf, ob es legitim sei, gemäß „Prozesseigenschaften die Einfuhr zu diskriminieren. Die Antwort unter der WTO war „Ja“.

In der EU-Energie- und Klimapolitik ist das damit Gemeinte auch bereits modellhaft eingeführt worden. In dem Politik-Paket, welches 2009 in Kraft trat, findet sich in der Fuel Quality Directive (FQD) ein Art. 7 a, der mit „Klimaqualität“ überschrieben ist – er gilt aber nur für flüssige Treibstoffe, nicht für Gas. Mit „Klimaqualität“ sind die spezifischen Treibhausgasemissionen gemeint, die beim Verbrennen von Treibstoffen direkt (100 Prozent) und indirekt (bei Ölprodukten rund 9 Prozentpunkte obendrauf) entstehen – „indirekt“ meint in der Vorleistung, also beim Herstellen und Liefern von Treibstoffen. Das ist quantifizierbar. Die so definierte Klimaqualität ist einer graduellen Verbesserung zugänglich – so ist diese Eigenschaft auch zur Regulierung verwendet worden. Sie ist überdies perspektivisch auf das Ziel, die Klimaneutralität, hin angelegt.

Den diesbezüglichen Ausgangspunkt für Gas, welches gegenwärtig noch beinahe ausschließlich Erdgas ist, führt das Autorenpaar an:

„<Gas> currently generates 66 gCO2-eq./MJ, that is 9.7 gCO2-eq./MJ for gas supply and 56.2 gCO2-eq./MJ for gas combustion (Joint Research Centre [JRC], 2017).“

Mit der Summe, 66 g CO2-eq./MJ, ist die gegenwärtige „Klimaqualität“ von Gas, aus fossilen Quellen, präzise in den beiden konstituierenden Elementen dargestellt,

  • den Emissionen, die bei der Verbrennung von Erdgas im Endverbrauch anfallen, und
  • den durchschnittlichen Emissionen aus der „Vorleistung“, das ist für all das an Leistungen, welches erforderlich ist, damit das Gas beim Endverbraucher ankommen kann. Da handelt es sich insbesondere um die Entweichungs-Emissionen bei der Förderung und beim Transport über Tausende von Kilometern in maroden Transportinfrastrukturen – unverbranntes CH4 hat einen um etwa den Faktor 30 höheren Treibhauseffekt (GWP) als sein Verbrennungsprodukt CO2.

Das Verhältnis der Vorleistungsemissionen zu den Emissionen bei der Nutzung, der Umwandlung von CH4 in CO2 (und harmloses H2O) qua Verbrennung, liegt bei 17 Prozent – das ist relativ hoch, es liegt bei Ölprodukten, also bei Benzin und Diesel etc., unter zehn Prozent. Dass Erdgas in der Vorleistung doppelt so „schmutzig“ ist wie Öl, liegt an diesen direkten CH4-Verlusten, die des hohen GWP wegen so stark zu Buche schlagen.

Es könnte sein, dass sich das Problem von alleine löst, indem der Bedarf an Gas in Europa zurückgeht. Das aber ist nicht zu erwarten. Die Autoren haben das gecheckt, anhand der Szenarien, welche die Übertragungsnetzbetreiber auf EU-Ebene, die auch für die Feststellung eines Infrastruktur-Ausbaubedarfs verantwortlich sind, erstellen. Das gemeinsame Ergebnis der Betreiber der Stromnetze (ENTSO-E) und der der Gasnetze (ENTSOG) ist:

EU gas demand will not change dramatically (ENTSO-E & ENTSOG, 2018a). The ENTSOs expect the annual gas demand to stay in line with or be lower than the historic demand average (5,000 TWh) and account for around 3,900–5,000 TWh in the 2040 perspective.“

Es bleibt somit nur die Option, den Charakter des Gases (wieder) zu ändern.


Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>