Trumps Militär auf dem Weg zu undefinierten Fronten

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann (Oktober 2025)

In einer schriftlichen Mitteilung an mehrere Ausschüsse des US-Kongresses hat das Weiße Haus erklärt, die USA würden sich in einem „armed conflict“ mit mehreren lateinamerikanischen Drogenbanden befinden. Zudem hat das amerikanische Militär einen seegestützten Truppenaufmarsch im Vorhof Venezuelas vollzogen, der in seinen Dimensionen an den von USA und UK vor dem Einmarsch in den Irak und an den Russlands vor seinem Einmarsch in die Ukraine erinnert.

1.      Trumps “Krieg” gegen die Narco-Gangs

Das US-Militär hat inzwischen vier Boote in der Karibik abgeschossen, die Besatzungen getötet. Es hat zudem unter dem Kommando von U.S. Southern Command (Southcom) einen seegestützten Truppenaufmarsch im Vorhof Venezuelas vollzogen, der in seinen Dimensionen an den von USA und UK seit November 2002 vor dem Einmarsch in den Irak im März 2003 und an den Russlands ab dem Herbst 2021 vor seinem Einmarsch in die Ukraine Ende Februar 2022 erinnert. Bei explizit kommunizierenden Regierungen nennt man das einen Akt von coercive diplomacy. Ein Markenzeichen der Regierung Trump hingegen ist die weitgehend implizite beziehungsweise andeutende Kommunikation, die aber doch etwas ungefähr Bestimmtes zu sagen hat.

Die Militärschläge via Raketen gegen die vier Boote hat die Trump-Administration schließlich gerechtfertigt mit einer schriftlichen Mitteilung an mehrere Ausschüsse des US-Kongresses. Inhalt war, dass nach Auffassung des Weißen Hauses die USA sich in einem „armed conflict“ mit mehreren lateinamerikanischen Drogenbanden befinden. Die Wortwahl „armed conflict“ statt „war“ erklärt sich daraus, dass die Kompetenz zur Ermächtigung einer Kriegsführung nach US-Verfassung (Art 1 sec. 8 clause 11) beim Kongress liegt, nicht beim Präsidenten. Der aber ist Oberbefehlshaber des US-Militärs, kann also befehlen, was er will. Also wählt man im Weißen Haus unter Trump für den Einsatz des US-Militärs unter Umgehung des Kongresses einen anderen Namen, um so zu tun, als ob die Verfassung nicht tangiert sei.

Darin zeigt sich ein Charakterzug des Machtzugriffs der Trumpschen Präsidentschaft: Er verwendet regelmäßig schlampige Worte oder auch präzise rechtliche Begriffe, denen gemeinsam ist, dass sie zum Rechtssystem quer stehen, oder man beruft sich in offenkundig missbräuchlicher Weise auf Sicherheitsklauseln, die für Extremsituationen gedacht waren, aber aktuell nicht vorliegen. Mit dieser sprachlichen Vorgehensweise streift Präsident Trump die Fesseln des bindenden und also einschränkenden Rechts ab. So einfach ist das. Es werden dann Gerichte angerufen, doch der Rechtsmittelstaat versagt im Schutz des Rechtsstaates: Bis auf dem Klageweg das angerichtete begriffliche Durcheinander wieder geordnet worden ist, ist Trump längst aus dem Amt geschieden – wenn überhaupt das Rechtswesen der USA zu einer konsistenten Ordnung, die einen Plan und eine Leitung bräuchte, in der Lage ist. Schon die pure Zahl von rechtlich fragwürdigen und also erst durch Anfechtung geklärten Vorgehensweisen, zu der die Trump-Administration sich entscheidet, überfordert das check&balances-System. Die USA haben die Familie der funktionierenden Rechtsstaaten verlassen.

2.      Das Drehbuch für den „armed conflict“ mit lateinamerikanischen Narco-Gangs

Das Drehbuch, welches die Autoren der Erklärung eines „armed conflict“ mit lateinamerikanischen Narco-Gangs vor Augen haben, ist offenkundig. Es ist der „Krieg“, den Präsident George W. Bush nach dem 11. September 2001 zunächst gegen die Gruppe Al-Kaida und anschließend gegen den Terrorismus insgesamt ausgerufen hat.

Der Punkt ist: Wer „Krieg“ (oder „armed conflict“) sagt, wird die bestehenden Streitkräfte mit ihren Waffen einsetzen – egal, ob das zweckmäßig ist oder nicht; auch egal, ob es gegen Völkerrecht verstößt. Der Sinn des Bushschen Global War on Terrorism (GWOT) war Rache für 9/11.

In der Formel „„armed conflict“ mit lateinamerikanischen Narco-Gangs“ ist nicht nur der Begriff vorne, „armed conflict“, bedenkenswert, bedenkenswert ist genauso das Objekt, gegen das der Einsatz von Streitkräften mit ihren kinetischen Waffen angeblich geeignet sei.

Im Bushschen Fall diente die Formel dazu, die Frage zu übergehen, welche Mittel gegen die asymmetrische Kampfform „Terrorismus“ klugerweise und mit Aussicht auf Erfolg anzuwenden sind. Die Kampfform Terrorismus wurde bekanntlich exakt zu dem Zweck erfunden, um gegen überlegenes Militär nicht von Angesicht zu Angesicht antreten zu müssen und dennoch über einen Machthebel qua Gewalt zu verfügen. Angesicht dessen ist es nicht wirklich naheliegend, das Militär, dem der Terrorismus ja gerade ausweichen will, dessen ungeachtet gegen die Vertreter dieser asymmetrischen Kampfform ins Feld zu führen. Sehr wahrscheinlich sind andere Kampfformen weit erfolgversprechender.

Die aktuelle Formel, die im zweiten Teil „gegen lateinamerikanischen Narco-Gangs“ lautet, dient einem vergleichbaren Zweck: Sie dient dazu, die Frage zu übergehen, welche Mittel im Kampf gegen die illegalen Importe illegaler Drogen klugerweise und mit Aussicht auf Erfolg anzuwenden sind.

Offenkundig handelt es sich um eine klassische Aufgabenstellung der Handels- beziehungsweise Zollpolitik, nicht des Militärs. Illegale Importe zu unterbinden, insbesondere von Hochwertgütern, ist dort die Standardaufgabe. Das gilt für sämtliche Transportrouten. Für die Überwachung auf See mag die Unterstützung qua Amtshilfe seitens des Militärs für die Aufklärung geboten sein. Aber für das Abschießen außerhalb eigener Hoheitsgewässer, ohne Warnung und Aufklärung des Transportzwecks, gibt es keine Motive in Zweck-Mittel-Relation; wenn überhaupt, dann wäre die Kaperung und Kontrolle des Bootes angemessen gewesen, wenn auch unrechtmäßig, da auf Hoher See.

Der Zweck der Anwendung unmäßiger Gewalt ist somit sicherlich ein anderer. Eine mögliche Vermutung wäre: Angst vor willkürlicher Gewalt zu verbreiten, also Terror. Die „armed conflict“-Erklärung der US-amerikanischen Trump-Regierung ist die paradoxe Erklärung eines asymmetrisch geführten Kriegs, außerhalb rechtlicher Normen, nun seitens einer militärisch weit überlegenen Partei. Und dieser Kampf richtet sich auch, anders als formuliert, selbstverständlich nicht gegen die Narco-Gangs, die werden lediglich die Konsequenz ziehen, andere Transportrouten zu präferieren.

Es könnte aber, so die andere Vermutung, sich auch nur um eine Aktion handeln, die die wahren Ziele des US-Truppenaufmarschs in der Karibik „decken“ soll, also zunächst anders motivieren soll. Ein militärischer Einsatz zum Sturz des venezolanischen Regimes von Nicolás Maduro wird von einigen hochrangigen Mitgliedern der Trump-Regierung befürwortet. Wenn Trump sich vom Bushschen GWOT inspirieren lässt, so deswegen, weil ihm sicherlich bekannt ist, wie die Invasion des Irak Bushs Zustimmungswerte in einem „Rally-around-the-Flag“-Effekt steigerte. Trumps Umfragewerte sind gegenwärtig unterdurchschnittlich. Angesichts dessen könnte er versucht sein, sich die Option zu eröffnen, gegebenenfalls denselben Effekt auszulösen.

3.      Die Pointe: Die Undefiniertheit der Aufgabenstellung für das US-Militär

Die Drogenkartelle, an die sich Trumps Erklärung richtet, haben jedenfalls keine bewaffneten Angriffe gegen die Vereinigten Staaten verübt. Die sind bislang einzig von US-Streitkräften durchgeführt worden. Diese „Tödlichkeitslücke“ seitens des Feindes versucht die US-Regierung dadurch zu schließen, dass sie auf die potenziell tödliche Wirkung von Drogenmissbrauch verweist. Sie erklärt, dass die Drogenkartelle durch den Schmuggel ihrer Produkte in die USA „jährlich den Tod Tausender amerikanischer Bürger verursachen“. Die Verfügbarkeit von Drogen wird also einem tödlichen Waffeneinsatz gleichgestellt. Die schädlichen Auswirkungen eines importierten Produkts werden als Grundlage für die Erklärung eines bewaffneten Konflikts verwendet.

Das ist begrifflich eine Rutschbahn. Tabak beispielsweise verursacht weltweit weit mehr Todesfälle als der Konsum illegaler Drogen, und die USA exportieren jährlich Tabakzigaretten im Wert von etwa einer Milliarde Dollar, einen Großteil davon nach Kanada. Der Tabakexport ist natürlich, im Unterschied zum Kokain- und Opoid-Export aus Mittelamerika, legal – was für die Kanadier, die an den Folgen des Konsums von US-Zigaretten sterben, keinen Unterschied macht. Sowohl bei Kokain und Opoiden als auch bei Tabak streben Unternehmen nach Profit durch den internationalen Handel mit einer gefährlichen, gewohnheitsbildenden Substanz.

Wenn die Trump-Regierung, wegen dieses argumentativen Dilemmas, die Illegalität statt der Tödlichkeit als entscheidenden Unterschied hervorhebt, dann gäbe es keine Schranken mehr, jegliches kriminelle Verhalten, das mit dem Überschreiten einer internationalen Grenze einhergeht, als „bewaffneten Konflikt“ zu deklarieren. Dann sind wir bei dem bekannten Phänomen, das als „Maslows Hammer“ bezeichnet wird. In der Formulierung von Abraham Maslow lautet es: „Wenn das einzige Werkzeug, das man hat, ein Hammer ist, ist es verlockend, alles so zu behandeln, als wäre es ein Nagel“.

Um es noch einmal anders zu illustrieren, sei auf die Ankündigung von Pentagon-Chef Pete Hegseth vom 10. Oktober 2025 verwiesen. Der hat auf Social Media bekanntgegeben:

At the President’s direction, the Department of War is establishing a new counter-narcotics Joint Task Force in the @SOUTHCOM area of responsibility to crush the cartels, stop the poison and keep America safe. … The message is clear: if you traffic drugs toward our shores, we will stop you cold.

crush the cartels“ ist bezeichnend gewählt. Was die US-Abstandswaffen leisten, ist in der Tat ein craschen. Aber dass damit ein international agierendes Wirtschaftsunternehmen des Drogenhandels zerstört wird, diese Erwartung ist offenkundig Unsinn. Der im Straßenkampf-Stil formulierte Satz „if you traffic drugs toward our shores, we will stop you cold“ leistet dasselbe. „stop you cold“ verbirgt die präziseBezeichnung: „werden wir Euch zum Gegenstand außerlegaler Tötung machen“. Mit einer sprachlich präzisen Formulierung würde das Gehorsamsdilemma für Soldaten, denen zugemutet wird, solche Befehle auszuführen, deutlich. Außerlegale Tötungen auszuführen, ist eigentlich das Markenzeichen einer Drogen-Mafia. Die Vorgaben des Pentagon an das US-Militär nehmen den Banden ein Alleinstellungsmerkmal, nähern die Kampfmethoden des US-Militärs denen der Bekämpften an.

Jedenfalls gewinnen so die Evangelische und Katholische Militärseelsorge lebensnahes Anschauungsmaterial für ihren lebenskundlichen Unterricht zur Schärfung des rechtlichen Gewissens der Soldaten in der Bundeswehr im Umgang mit Befehlen, die in verdeckender (Umgangs-)Sprache formuliert sind.

Hans-Jochen Luhmann, Mitglied der Studiengruppe „Frieden und Europäische Sicherheit“ der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler (VDW).

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>