Yovanovitch-Ablösung in Kiew: Motiv geklärt

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Korruption – Bestechung ‑ ist vielerorts und in vielen Staaten verbreitet, gerade an der Schnittstelle von Wirtschaft und Politik. Der Anreiz dazu ist nicht wirklich zu beseitigen. Politik schafft eben Geschäftsmodelle im Ganzen und mit Einzelprojekten Geschäftsmöglichkeiten im Detail. Der Sog wird immer da sein. Und solange man die „Beute“ ins Ausland transferieren und dort sichern kann, ist die Situation vor Ort immer prekär. Aber die „Geschäftsmodelle“ von Staaten wie der Schweiz, von „London“ und Delaware in den USA sollen hier nicht Thema sein.

Zu den Staaten, wo der Westen sich besonders ins Zeug gelegt hat, die habituelle Korruption vor Ort zu bekämpfen, gehört die Ukraine. Der Westen tat das auch aus eigennützigen Motiven. Die Ukraine war finanziell bankrott, als der Westen die „lender of last ressort“-Funktion im März 2014 von Russland übernahm. Seitdem wird sie durch regelmäßige Kassenkredite der EU und des Internationalen Währungsfonds (IMF) über Wasser gehalten. Die USA sind keine direkten Kreditgeber, muss man betonen. Das Ausmaß der Abzweigung von Staatsmitteln zur privaten Bereicherung entspricht einem Zusatzbedarf an Mitteln der Kreditzuführung durch IMF und EU – wobei die rechtlich gesehen korrekte Verwendung des Wortes „Kredit“ eine Beschönigung ist, wie alle wissen. Diese Kredite sind eines Tages abzuschreiben. Also hat die EU ein finanzielles Interesse, das Versickern in Löcher, in die sie Geld gibt, zu begrenzen.

Ein zweiter Vorgang ist, dass US-Präsident Trump, so seine Behauptung und Verteidigungslinie im Impeachment-Verfahren, sich persönlich in die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine eingeschaltet habe. „Persönlich“ heißt dabei: Nicht als Staatspräsident, sondern privat, über seinen privaten Anwalt, den ehemaligen New Yorker Bürgermeister Rudy Giuliani. Der sammelt seit drei Jahren in der Ukraine Material, um einen personifizierten Korruptionsverdacht so zu erhärten, dass er für die wahlkampfüblichen Schmutzkampagnen tauglich wird. Es geht um die Tätigkeit des ältesten Sohnes von Joe Biden, des ehemaligen Vize-Präsidenten der USA und nun demokratischen Kandidatur-Bewerbers für die im November anstehende nächste Wahl eines US-Präsidenten.

Dieser Sohn, Hunter Biden, war 2014, als sein Vater das Ukraine-Portefeuille innehatte, in den Aufsichtsrat/Vorstand des auf Zypern registrierten Erdgas-Förderers Burisma berufen worden. Dieser hatte in der Ukrainie, wo eigentlich ein Gas-Förder-Monopol gilt, in der Spätzeit der Yanokowitch-Regierungszeit in erheblichem Umfang Förder-Lizenzen ergattert. Hunter Biden war als Wirtschaftsanwalt und Lobbyist in Washington tätig – seine Berufung kurz nach der Wende in Kiew sowie dessen fürstliche Bezahlung könnten, so der Verdacht, der in den Raum gestellt wird, nicht wirklich aus der Geschäftstätigkeit der Firma motiviert gewesen sein, sondern anderen Zwecken dienen sollen, also Korruption gewesen sein. Zudem verfolgt Giuliani mit seiner „Gang“, was für einen Privatmann legitim ist: In Kollaboration mit seinen Recherche-Tätigkeiten für seinen Klienten, der gerade das Amt des US-Präsidenten innehat, verfolgt er zugleich geschäftliche Interessen in der Ukraine. Es macht den Eindruck, dass die Weise der Geschäftsanbahnung, die die Mitglieder dieser Gang pflegen, mit dem offiziellen Anti-Korruptionskurs der US-Regierung in der Ukraine nicht recht zusammenpasst.

Es gab einen Burisma-Fall mit Steuerhinterziehung. Der aber fand vor der Revolution im Februar 2014 statt und wurde nach 2014 abschließend verfolgt. Diesen Fall erneut aufzurollen, diente offenkundig nicht wirklich der Bekämpfung der grassierenden Korruption in der Ukraine. Wer der habituellen Korruption dort ernstlich das Wasser abgraben will, muss vielmehr an die Strukturen in der Ukraine heran, er muss rechtspolitisch agieren. Er muss Korruption aufklärbar, rechtlich verfolg- und aburteilbar machen. Das genau war das Programm der G7-Mächte, inklusive der EU, nach 2014, abgestimmt über deren Botschafter in Kiew. Auf US-Seite war das seit 2016 Botschafterin Maria Yovanovitch, die sich dieser Aufgabe offenbar beherzt angenommen hatte. Die Aufgabe ist pikant, weil hochrangige Vertreter der Justiz in der Ukraine zu den Verfechtern der Korruption zählen müssen; und die werden sicher, wenn in ihrer ökonomischen Basis angegriffen, sich entsprechend verhalten – ob sie beteiligt sind, lässt sich unschwer an ihrer Lebensweise in Kiew ablesen. Die werden um ihre Pfründe kämpfen.

Lutsenkos Kampf

Yovanovitchs Ablösung war offenkundig von Giuliani, mit Deckung von Trump, betrieben worden, das war ausführlich Thema in den Anhörungen im US-Repräsentantenhaus zu dem Telefonat der Päsidenten Trump und Zelenski am 25. Juli 2019. Bis vor kurzem war das Motiv für das Bestreben, Botschafterin Yovanovitch abzulösen, ungeklärt – für das Anliegen des Präsidenten und seines Anwalts war sie eigentlich eine unbedeutende Figur, die nichts verhindern noch auch nur stören konnte. Dass sie, ganz korrekte Beamtin, abgelehnt hatte, bei dem Verfolgen des privaten Anliegens zu kooperieren, hinderte diese Recherchen nicht wirklich. Warum dieser Aufwand? Das ist nun geklärt.

Im Zentrum steht der von Zelenski inzwischen abgelöste, noch von Präsident Poroschenko berufene Generalstaatsanwalt in der Ukraine, Lutsenko. Yovanovitchs Ablösung hatte Lutsenko, so wurde nun offenbart, zu einer Bedingung seiner Kooperationsbereitschaft gemacht. Dabei geht es um eine Forderung aus dem Frühjahr 2018; da machte die Forderung Lutsenkos auch noch Sinn; und Trump hatte der damals auch bereits umgehend zugestimmt. Dann aber wird Lutsenko verwundert wahrgenommen haben, dass der sich als Sonnenkönig gerierende Trump mehr als in Jahr brauchte, um seine Forderung bei „seinem“ Außenminister auch durchzusetzen – und schließlich den Prinzipienkampf ein Jahr später gewann, als das Ergebnis schon nutzlos war. Da hatte Zelinski mit seinem Anti-Korruptionskurs die Präsidentschaft in der Ukraine bereits gewonnen und Lutsenkos Tage im Amt waren gezählt. Vielleicht ging es Lutsenko im Frühjahr 2018 auch um mehr, um ein Statement von Präsident Trump zur Unterstützung von Poroschenko im Wahlkampf gegen Zelenski, der einen ernstlichen Anti-Korruptionskampf zum Kernanliegen seiner Wahlkampagne gemacht hatte – und damit auch gewann. Wissen muss man, dass Poroschenko Oligarch ist, dass die Bestellung des Generalstaatsanwalts zu den Prärogativen des Präsidenten gehörte sowie dass er und Lutsenko wechselseitig Paten von Kindern des anderen sind.

Die Lutsenko offiziell übertragene Aufgabe hat Frau Yuvanovitch in ihrer Ausssage vor dem Geheimdienstausschuss des Repräsentantenhauses so rekapituliert:

„… because Ukraine is a country in transition, that role was in the process of becoming reformed. So the prosecutor general’s office is, or position, is a very powerful one, it’s a hold-over from the Soviet Union days. … that individual is in charge of both investigatory actions, like the FBI, for example, as well as the actual prosecution. So it’s tremendous power.

„… Mr. Lutsenko was brought in to reform that office to split the offices, investigatory and prosecutorial, and to make real reforms. So that because the PGO, Prosecutor General’s Office, was viewed as an instrument of corruption basically, to grant people favors, they could open cases, they could close cases based on money passing hands or whatever was most opportune, and it trickled down to the ordinary people’s lives as well. So it was seen as a place where ironically corruption thrived and he was brought in to clean that up.

Das bedeutet: Lutsenkos offizielle Aufgabe war, sein korruptionsträchtiges und finanziell lukratives Amt abzuschaffen. Und das angeblich auf Geheiß von Poroschenko, der vermutlich zu den dann angreifbaren Personen gehören würde. Unter dem neugewählten Präsidenten und seinem neuen Generalstaatanwalt, der aus dem Ausland, aus Europa, kommt, ist das eine realistische Perspektive – wenn da nicht der dubiose US-Präsident wäre, der Zelenski in dem ominösen Telefonat am 25. Juli 2019 bedeutet hat:

I heard you had a prosecutor who was very·good and he was shut down and that’s really unfair. A lot of people are talking about that, the way they shut your very good prosecutor down and you had some very bad people involved.

So versuchte Trump ernstlich, dem neugewählten Präsidenten der Ukraine den geschassten Generalstaatsanwalt seines Vorgängers zur Wieder-Inthronisierung zu empfehlen. Zelenski hat das noch während des Telefonats abgelehnt, etwas anderes wäre auch ein politisches Selbstmord-Attentat.

Die ausstehenden Aufgaben im Amt des Generalstaatsanwalts

Besser verständlich wird das alles vor dem Hintergrund der großen Linie an Aufgaben, die für diesen Amtsinhaber anstanden und für seinen Nachfolger weiterhin anstehen. Auf die Aufforderung hin „describe the evolution of your understanding as to how Mr. Lutsenko was trying to hurt you in the U.S.“ berichtet Frau Yuvanovitch in ihrer Anhörung:

Mr. Lutsenko was not pleased that we continued at the embassy to call for cleaning up the PGO, the Prosecutor General’s Office, … he came into office with … three goals:
One was to reform the office,
one was to prosecute those who killed the innocent people on the Maidan during the Revolution of Dignity, and
one was to prosecute money laundering cases to get back the $40 billion-plus that the previous president and his cronies had absconded with.
None of those things were done. And we thought those were great goals, … we wanted … to encourage him to continue with those goals. That did not happen. And so, we continued to encourage him, and I don’t think he really appreciated it.

Frau Yuvanovitch berichtete vor dem Ausschuss von ihrem Eindruck, dass Lutsenko ihr schaden wolle, in den USA – sie aber habe sich nicht vorstellen können, wie ihm das gelingen können solle. Nun aber sehe sie seinen Erfolg. Ihre Antwort auf die Frage, was das Motiv für Lutsenkos Gebahren gewesen sein mag:

„Ms. Yovanovitch: I think that he felt that I and the embassy were effective at helping Ukrainians who wanted to reform, Ukrainians who wanted to fight against corruption, and … that was not in his interest. I think also that he was, I mean, it’s hard to believe, … personally angry with me that we … did work with the PGO’s office, but he wanted us to work with him in different ways, … that we didn’t have a closer relationship, … that I was not facilitating trips for him to the United States with our cabinet members, when there was, frankly, nothing to talk about because he wasn’t a good partner for us.

Die stammelnd anmutende Redeweise wurde in dem Zitat belassen – Frau Yovanovitch kann nicht mit begrifflicher Präzision, zitierbar formulieren, was sie ausdrücken will: Dass es Lutsenko um Anliegen ging, die nur jenseits der offiziellen Kanäle kommunizierbar sind.

So after the 2014 elections, the Ukrainian people had made clear … that they were done with corruption, … they wanted to live a life with dignity, called the Revolution of Dignity. … that term means for Ukrainians is that it’s rule of law, that what applies to you applies to me. It doesn’t matter whether … we hold different jobs or different status in society. It should be about the rule of law. … we wanted to support that effort, … we supported them in other ways on anticorruption issues, …

So they thought that it would be a good idea to set up this architecture … of a special investigative office that would be all about the crimes of corruption above a certain level of public officials. And so it would be devoted to that. So they would set up that organization, kind of like an FBI, but for a particular mission. Secondly, there would be a special independent anticorruption prosecutor, which … reported to Mr. Lutsenko. And then there would be a special anticorruption court. So that you would have, you know, this continuum of new organizations with vetted individuals who are trained who are handling these crimes, people who would get reasonable salaries so that they wouldn’t actually be forced to go out and take bribes.“

Damit beschreibt Frau Yuvanovitch das institutionelle Setting, welches die G7 untereinander für die Ukraine abgestimmt hatten – und welches das Verfassungsgericht der Ukraine, deren Richter selbst zu den Begünstigten der Korruptionskultur gehören, am 26. Februar 2019 versuchte zu vehindern.

Die Aufgabe des Teams unter dem neuen Präsidenten Zelenski ist damit skizziert. Die EU unterstützt ihn dabei weiterhin. Die USA unter der jetzigen Regierung haben die Seiten gewechselt. Deren Präsident versucht sich drin, das in einer „Haltet den Dieb“-Strategie zu verschleiern. Die Berichterstattung in deutschen Medien ist bedingt hilfreich nur, weil sie auf dem Primat des skandalträchtigen Einzellfalls bestehen und auf Personen als Amtsinhaber fokussieren. Das Strukturelle an der Korruptionsbekämpfung halten sie für zu kompliziert – und unterlassen deshalb eine Berichterstattung, die auf den Kern zielt.


Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>