Kohle-Datenbank zeigt: Produktion von Kraftwerkskohle 2024 auf Allzeithoch

 

2015, im Jahr des Pariser Klimaabkommens, hatten die weltweit installierten Kohlekraftwerke eine Gesamtkapazität von 1.910 Gigawatt, heute sind es 2.126 Gigawatt – ein Wachstum von über elf Prozent. Obwohl die Schwelle zur Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze für die Erhitzung des Planeten bereits gefährlich nahe ist, weigert sich die überwältigende Mehrheit der Kohleunternehmen eine Energiewende zu vollziehen. Von den 1.560 Muttergesellschaften und 1.204 Tochtergesellschaften, die auf der internationalen Global Coal Exit List gelistet sind, haben lediglich 124 Unternehmen – weniger als fünf Prozent – ein Kohleausstiegsdatum überhaupt angekündigt.

(Berlin, 30. Oktober 2024) Zwei Wochen vor dem Start der Weltklimakonferenz (COP29) in Aserbaidschan veröffentlichen urgewald und 51 weitere NGO-Partner weltweit die Global Coal Exit List (GCEL) 2024. Die GCEL 2024 nimmt die Geschäfte von 1.560 Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette für thermische Kohle in den Blick – von Kohlebergbau über Kohlehandel bis hin zur Verbrennung von Kohle in Kraftwerken. Sie ist die umfangreichste öffentliche Datenbank zur globalen Kohleindustrie.

„Der beispiellose Ausbau Erneuerbarer Energieträger im vergangenen Jahr hat viel Hoffnung für die Energiewende ausgelöst. Doch unsere Recherche zeigt: Während Erneuerbare boomen, hält die Kohleindustrie an ihren zerstörerischen Geschäften fest. Neun Jahre nach der Unterzeichnung des Pariser Abkommens hat die Produktion von Kraftwerkskohle einen neuen Höchststand erreicht und der weltweite Kohlekraftwerkspark wächst immer noch“, sagt Heffa Schücking, Geschäftsführerin von urgewald.

2015, im Jahr des Pariser Klimaabkommens, hatten die weltweit installierten Kohlekraftwerke eine Gesamtkapazität von 1.910 Gigawatt (GW). Heute sind es 2.126 GW – ein Wachstum von über 11 Prozent. Schücking kommentiert: „Künftige Generationen werden nie verstehen, warum diese Branche in den 2020er Jahren weiter expandieren durfte, obwohl die Folgen auf jedem einzelnen Klimagipfel klar benannt wurden.“

Entwickler von Kohleminen

40 Prozent der in der Global Coal Exit List 2024 aufgeführten Unternehmen sind „Kohleentwickler“: Sie planen die Erschließung neuer Kohleminen, den Bau von Infrastruktur für den Kohletransport oder den Bau von Kohlekraftwerken. Die neue Global Coal Exit List listet 376 Kohleminenentwickler auf, die in 36 Ländern neue Projekte zum Abbau von Kraftwerkskohle planen. Der weltweit größte Kohleminenentwickler, Coal India, ist gleichzeitig der weltweit größte Produzent von Kraftwerkskohle. Insgesamt planen Unternehmen in der Global Coal Exit List den Ausbau von Kohleminen mit einer Gesamtkapazität von mehr als 2.636 Millionen Tonnen pro Jahr (Mtpa). Dies entspricht fast 35 Prozent der heutigen globalen Produktion von Kraftwerkskohle. Auf Länderebene sind die größten Erweiterungen von Kohleminen in

  • Indien (947 Millionen Tonnen pro Jahr),
  • China (873 Millionen Tonnen pro Jahr) und
  • Australien (201 Millionen Tonnen pro Jahr) geplant.

Kohlekraftwerksentwickler

Die Global Coal Exit List listet 286 Kohlekraftwerksentwickler auf. Sie planen neue Kohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von 579 GW – was 27 Prozent der aktuellen weltweiten Kohlekraftwerkskapazität entspricht. Der Löwenanteil dieser neuen Kapazität – 392 GW – ist in China geplant. Und das, obwohl der Strom aus den Wind- und Solarprojekten des Landes inzwischen genauso viel kostet oder sogar billiger ist als Kohlestrom.

Schücking kommentiert: „China betreibt ein doppeltes Spiel. Das Land baut zwei Drittel aller neuen großen Wind- und Solarkraftwerke weltweit und ist gleichzeitig für 68 Prozent der globalen Neubauvorhaben für Kohlekraftwerke verantwortlich.“ Der weltweit größte Entwickler von Kohlekraftwerken, die China Energy Investment Group, ist auch der weltweit größte Betreiber von Kohlekraftwerken. Das Unternehmen plant, seine gigantische 209-GW-Kohlekraftwerksflotte um weitere 44 GW zu erweitern.

Mit 92 GW entfällt die Hälfte der außerhalb Chinas geplanten Kohlekraftwerksprojekte auf Indien. Laut einem aktuellen Bericht des Luftqualitätsdienstleisters IQAir befinden sich 83 der 100 am stärksten schadstoffbelasteten Städte der Welt in Indien. Und eine 2023 im British Medical Journal veröffentlichte Studie schätzt, dass die Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe für bis zu 2,18 Millionen zusätzliche Todesfälle pro Jahr in Indien verantwortlich ist. Kohle ist nicht nur der klimaschädlichste fossile Brennstoff – sie ist auch der tödlichste.

Joe Athialy, Direktor des Centre for Financial Accountability in Delhi, sagt: „Kohle machte im vergangenen Jahr 74 Prozent der indischen Stromerzeugung aus und ist der Hauptgrund für eine massive Krise der öffentlichen Gesundheit in unserem Land. Unsere Wirtschaft braucht eine gerechte und ausgewogene Energiewende auf Grundlage nachhaltiger, dezentraler erneuerbarer Energien, nicht mehr Kohle.“

Ausstieg aus der Kohle: Regulierung ist entscheidend

Im Vereinigten Königreich machte Kohle im Jahr 2012 fast 40 Prozent der Stromerzeugung des Landes aus. Die Regierung erhöhte die Kosten für den Kohlendioxid-Ausstoß, führte neue Emissionsgrenzwerte ein, legte ein ehrgeiziges Datum für den Kohleausstieg fest und schuf günstige Bedingungen für den Ausbau erneuerbarer Energien. So wurde Großbritannien in diesem Jahr das erste G7-Land, das die Kohle vollständig aus seinem Strommix verbannt hat.

Während Länder wie China, Indien, Russland die Türkei weiterhin langfristig auf Kohle setzen, haben über 130 Länder auf der COP28 in Dubai die „Global Renewables and Energy Efficiency Pledge“ unterzeichnet. Damit haben sie ihre Absicht bekundet, die Kohleverstromung auslaufen zu lassen und den Übergang zu erneuerbaren Energien zu beschleunigen.  Doch solange solchen Ankündigungen keine harten Regulierungsschritte folgen, wird die Kohleindustrie sich kaum bewegen.

Lausitz: Verzögerter Kohleausstieg in Deutschland

Der tschechische Konzern EPH hat das Braunkohlegeschäft n der deutschen Lausitz im Jahr 2016 von Vattenfall übernommen. Eine Studie in Auftrag des BUND Sachsen ergab, dass ein regionaler Kohleausstieg bis 2030 ohne Versorgungseinbußen möglich ist . Doch EPH will seine Kohlegeschäfte lediglich auf das irreführenderweise EP Energy Transition benannte Schwesterunternehmen übertragen – eine Dekarbonisierung lediglich auf dem Papier.

Die vorliegende GCEL-Recherche zeigt: EPH hat seine Kohleproduktion von 2023 bis 2024 um rund drei Viertel reduziert, von 40,1 auf nun 11,2 Millionen Tonnen pro Jahr. Seinen Kohleanteil an der Stromerzeugung hat der Konzern mehr als halbiert auf nun 25 Prozent. Der Blick auf das neugegründete Unternehmen EP Energy Transition zeigt, wohin dieses Kohlegeschäft gewandert ist: Die Schwestergesellschaft hat eine jährliche Kohleproduktion in Höhe von 41,7 Millionen Tonnen und einen Kohleanteil an der Stromproduktion von 98 Prozent.

EP Energy Transition hat bislang keine Kohleausstiegspläne bis 2030 und könnte sein extrem klimaschädliches Braunkohlegeschäft noch bis 2038 ausreizen. Aktuell wird der Ort Mühlrose umgesiedelt, um den Weg frei zu machen für weitere Kohle. Als letzter Ort in Sachsen wird er der Kohle geopfert.

95 Prozent Kohleindustrie ohne Ausstiegsplan

Obwohl die Schwelle zur Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze bereits gefährlich nahe ist, weigert sich die überwältigende Mehrheit der Kohleunternehmen eine Energiewende zu vollziehen. Von den 1.560 Muttergesellschaften und 1.204 Tochtergesellschaften, die auf der GCEL gelistet sind, haben nur 124 Unternehmen – weniger als 5 Prozent – ein Kohleausstiegsdatum angekündigt.

Viele dieser Kohleausstiegsdaten liegen jedoch viel zu weit in der Zukunft. Laut der Internationalen Energieagentur (IEA) und den Vereinten Nationen ist ein Kohleausstieg in den OECD-Ländern bis 2030 und im Rest der Welt bis 2040 erforderlich, um die 1,5-Grad-Grenze einhalten zu können. Unternehmen wie KEPCO aus Südkorea oder Mitsubishi aus Japan planen erst für 2050 den Ausstieg aus der Kohle – zwanzig Jahre zu spät.

Von den 124 Unternehmen mit Kohleausstiegsplänen haben nur 65 Kohleausstiegsdaten festgelegt, die dem von der IEA festgelegten Zeitrahmen von 2030 beziehungsweise 2040 entsprechen. Es ist außerdem besorgniserregend, dass die Mehrzahl der Energieversorger, die sich zum Kohleausstieg verpflichtet haben, ihre Kohleverstromung ganz oder teilweise durch fossiles Gas ersetzen wollen.

Insgesamt konnten nur sieben Unternehmen identifiziert werden, die sich an den Pariser Klimazielen orientieren und ihre Kohlekraftwerke vollständig durch erneuerbare Energien ersetzen:

  • Synergy (Australien) 
  • Empresa Electrica Angamos (Chile) 
  • Granite Shore Power (USA)
  • Holy Cross Energy (USA)
  • Portland General Electric (USA)
  • Sierra Pacific Power (USA)
  • Wisconsin Power and Light (USA)

Laut Global Energy Monitor wurden im Jahr 2023 nur 21 GW an Kohlekraftwerkskapazität stillgelegt. Um die von der IEA gesetzten Fristen einzuhalten, müssten jedoch in den nächsten 17 Jahren durchschnittlich 126 GW pro Jahr stillgelegt werden.

Finanzindustrie: Gemischte Signale zum Kohleausstieg

Banken und Investoren haben einen Großteil des Kapitals bereitgestellt, das das enorme Wachstum der Kohleindustrie in den vergangenen Jahrzehnten ermöglicht hat. Ebenso hat die Finanzwelt die Macht, den weltweiten Ausstieg aus der Kohle zu beschleunigen. Dies erfordert jedoch klare Richtlinien für einen raschen Ausstieg aus der Kohlefinanzierung und -investition.

Im Jahr 2015 schuf der staatliche Norwegische Pensionsfonds einen weltweiten Präzedenzfall, als er Unternehmen mit einem Kohleumsatz von über 30 Prozent aus seinem Portfolio ausschloss. Doch seitdem hat der Verwalter des Pensionsfonds, NBIM, keine Ambitionen gezeigt, weitere Schritte in Richtung eines Kohleausstiegs zu unternehmen. Viele andere große europäische Investoren haben ihre Richtlinien in dieser Zeit weiter verbessert und wenden nun viel strengere Schwellenwerte an als Norwegens Pensionsfonds. Die Versicherungsgesellschaften AXA und Munich Re schließen beispielsweise alle Unternehmen mit einem Kohleumsatz von über 15 Prozent von Investitionen aus.

Die dänische Danske Bank, die schwedische Handelsbanken und der norwegische Vermögensverwalter KLP schließen Unternehmen mit einem Kohleumsatz von über fünf Prozent aus. Bis heute haben 89 Finanzinstitutionen Kohleausstiegsdaten eingeführt, die sich an den Pariser Klimazielen ausrichten, und machen ihre Portfolios Schritt für Schritt kohlefrei.

Mehr Geld für die Kohle von Banken aus USA und Kanada

Einige Banken haben ihre Unterstützung für die Kohleindustrie in den letzten Jahren sogar noch erhöht. Der urgewald-Bericht „Still Banking on Coal“ von Mai 2024 zeigt:

  • Die Bank of America stellte der Kohleindustrie im Jahr 2023 30 Prozent mehr Geld zur Verfügung als noch im Jahr 2016 – das Jahr, in dem das Pariser Klimaabkommen in Kraft trat.
  • Die US Bancorp erhöhte ihre Unterstützung für den Kohlesektor im gleichen Zeitraum um 39 Prozent,
  • PNC Financial Services um 79 Prozent,
  • Royal Bank of Canada um 27 Prozent,
  • Toronto Dominion um 90 Prozent und
  • BMO um 138 Prozent.

Größte Kohlebanken in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Im europäischen Feld fällt die Schweizer Großbank UBS vergleichsweise positiv auf: Sie hat ihr Kohlefinanzierungsvolumen im Zeitraum 2016 bis 2023 stark zurückgefahren, um 77 Prozent auf 516 Millionen US-Dollar (2023). Sie bleibt dennoch mit Abstand größter Kohlefinanzierer der Schweiz.

Auch der größte Kohlefinanzierer Österreichs, die Erste Bank, hat sein Finanzvolumen für die klimaschädliche Industrie im Jahresvergleich 2016 und 2023 deutlich zurückgefahren, um 50 Prozent auf 36 Millionen US-Dollar (2023).

Ganz anders die Deutsche Bank: Der größte Kohlefinanzierer Deutschlands hat sein Finanzierungsvolumen für die Industrie in etwa auf gleichem Niveau gehalten. Im Jahr 2016 unterstützte die Deutsche Bank Kohleunternehmen mit 693 Millionen US-Dollar, im Jahr 2023 mit 664 Millionen US-Dollar (-4 Prozent).

Schücking kommentiert: „Finanzaufsichtsbehörden wie EZB, BaFin, FMA und FINMA müssen endlich konsequent die Klimaauswirkungen der Kohlefinanzierung in die Beurteilung von Banken einfließen lassen. Weiterhin Geld in die Kohle zu stecken, ist der sicherste Weg, das Finanzsystem zu destabilisieren und unseren Planeten unbewohnbar zu machen.“

Über die Global Coal Exit List (GCEL)

Die GCEL wurde erstmals 2017 veröffentlicht und wird seitdem jeden Herbst aktualisiert. Die Datenbank umfasst

  • alle Kohleentwickler (mit Expansionsvorhaben in Bereichen wie Kohlekraftwerke, Kohleminen und Kohleinfrastruktur),
  • die größten Betreiber von Kohlekraftwerken (mehr als 5 GW installierte Leistung) sowie die größten Bergbauunternehmen für thermische Kohle (mehr als 10 Mtpa),
  • außerdem alle Unternehmen, die mehr als 10 Prozent ihrer Stromerzeugung oder ihres Umsatzes aus Kohle generieren.

Investoren, die ein Vermögen von fast 20 Billionen US-Dollar repräsentieren, wenden derzeit eines oder mehrere dieser drei Divestment-Kriterien der GCEL an, um Kohleunternehmen aus ihren Portfolios auszuschließen.

Mitveröffentlichende NGO-Partner der Global Coal Exit List 2024 neben urgewald:

AbibiNsroma Foundation (Ghana), ActionAid Denmark, African Climate Reality Project, Arayara (Brasilien), Asian Peoples Movement on Debt and Development (APMDD), Attac Österreich, Auriga (Indonesien), Bangladesh Working Group on Ecology and Development (BWGED), BankTrack (Niederlande), BlackRock’s Big Problem, Center for Energy, Ecology, and Development (CEED) (Philippinen), Centre for Environmental Rights (Südafrika), Centre for Financial Accountability (Indien), CHANGE VN (Vietnam), Climate Action Network (CAN) Europe, Comité Nacional de Lucha Contra el Cambio Climático (CNLCC) (Dominican Republic), Ecodefense (Russland), Environics Trust (Indien), Facing Finance (Deutschland), Fair Finance International, FairFin (Belgien), Freedom from Debt Coalition (Philippinen), Friends of the Earth (FoE) Japan, Fundacja „RTON” (Polen), Global Energy Monitor, Green America (USA), Green Innovation and Development Centre (GreenID) (Vietnam), Growthwatch (Indien), Indian Social Action Forum (INSAF), Japan Center for a Sustainable Environment and Society (JACSES), Justiça Ambiental (JA!) (Mosambik), Kiko Network (Japan), Korea Federation for Environmental Movements (KFEM), Les Amis de la Terre (Frankreich), Life After Coal (Südafrika), Philippine Movement for Climate Justice, Power for People Coalition (Philippinen), Rainforest Action Network (USA), Reclaim Finance (Frankreich), ReCommon (Italien), Solutions for Our Climate (Südkorea), Stand.earth (Kanada), The PRAKARSA (Indonesien), The Sunrise Project, WALHI (Indonesien), WAV (Schweiz), Women for Green Economy Movement Uganda, Zambia Climate Change Network, 350, 350 Ghana Reducing Our Carbon, 350 Japan.

Heffa Schücking ist Gründerin und Geschäftsführerin von urgewald.