Die Türkei in Syrien und an der Außengrenze der EU. Migranten als Waffe.

 

In der syrischen Provinz Idlib sowie an der Außengrenze der EU zur Türkei braut sich gegenwärtig eine massive Krise zusammen. Die Türkei, Europa via NATO und Flüchtlingspakt verbunden, fordert militärische Solidarität von ihren europäischen Partnern gegen Russland und gegen das Assad-Regime. Es scheint, dass die Türkei die Option “Migrantenschleuse” als “Waffe” (im Clausewitzschen Sinne) beziehungsweise als Pfand für einen Deal mit ihren europäischen Partnern nutzen wird.

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann



In der syrischen Provinz Idlib sowie an der Außengrenze der EU zur Türkei braut sich gegenwärtig, nach dem Tod von Dutzenden von türkischen Soldaten am 27. Februar 2020, eine massive Krise zusammen. Um diese Krise sachgerecht einschätzen zu können, muss man Sicherheitspolitik (in der Idlib-Region) und Politik mit Migrationswilligen zusammensehen können und dem einen historischen Hintergrund geben. Dafür eignen sich Bausteine, die in den „Politischen Kommentaren“ in diesem Blog seit November 2014 bereitgestellt worden sind.

Medien haben dem türkischen Schritt gegenüber der EU vom 29. Februar 2020 bereits einen nicht unangemessen Titel verpasst:

„Erdogan drops the ‘human bomb’ on EU“.

Bemerkenswert ist an diesem „label“ der bestimmte Artikel davor: „the“ human bomb. Das besagt: Diese „Waffe“ („Bombe“ ist nicht wirklich zutreffend) ist als Option bestens bekannt. Allerdings wurde sie bislang als solche lieber tabuisiert, nicht thematisiert. Nun aber ist der Einsatzfall gegeben. Das ist eine neue Situation. Nun haben die Europäer zu entscheiden, wie sie damit umgehen wollen. Ob sie dem medialen Label folgen wollen und mit der Herausforderung sicherheitspolitisch, gegenüber dem NATO-Partner, umgehen wollen – etwa so, wie die USA nach dem 11. September 2001 einen „Krieg gegen den Terror“ ausgerufen haben; und dann, nach der Belegung mit dem Label „Krieg“, Schwierigkeiten hatten, ihr Militär diesen „Krieg“ auch angemessen und mit Aussicht auf Erfolg führen zu lassen. Im Ergebnis hat die (Fehl-?)Bezeichnung dazu geführt, dass das US-Militär mehr Terroristen schafft als beseitigt.

Eine vergleichbare Gefahr steht im Raum mit der anstehenden Reaktion der europäischen Staaten auf das Vorgehen der Türkei zu Ende Februar 2020. „Im Krieg“ geht es nach Clausewitz darum, einem anderen „seinen Willen aufzuzwingen“. Alles, was an Mitteln eingesetzt werden kann und dem nützt, ist eine „Waffe“. „Waffen“ sind nicht definiert durch das, über das das Militär verfügt.

Der Krieg in Syrien

Im Krieg in Syrien war (und ist) die Türkei Partei. Sie stand hinter den mehr islamistisch ausgerichteten Kämpfern. Die hat sie für den Sprachgebrauch in westlichen Medien zur Syrian National Army (SNA auch TFSA) zusammengefasst, hat sie ausgerüstet beziehungsweise deren Ausrüstung durch Saudi-Arabien zugelassen und durchgeleitet. Die Struktur des Krieges nach dem Eingreifen Russlands, mit der damit etablierten Lufthoheit, bestand im Kampf um zentrale Infrastrukturen und um Städte mit ihren perversen Möglichkeiten, die Zivilbevölkerung als Geisel zum Schutz zu nehmen. Die „Häuserkämpfe“ in ihrer grausamen Regelwidrigkeit endeten regelmäßig mit einer Aufgabe und folgendem Austausch der (radikalen) Oppositionskräfte, ihrem Abtransport in die Region Idlib. In Idlib musste eines Tages der Endkampf stattfinden, sofern die dort stationierten islamistisch-radikalen Kräfte nicht aufgeben – das haben sie, beziehungsweise ihr Sponsor, die Türkei, nicht getan. Nun hat der grausame Endkampf dort begonnen.

Die Türkei, Europa via NATO und Flüchtlingspakt verbunden, hat entschieden, sich dort mit eigenen Truppen zu stationieren – und also sich zu beteiligen. Zu welchem Zweck sie das getan hat, ist zwar unerklärt. Möglicherweise geht es um die Errichtung eines weiteren Protektorats im Grenzgürtel; möglicherweis aber geht es auch nur um die Erringung eines Tauschgegenstands. Die Türkei fordert jedenfalls nun militärische Solidarität dort von ihren europäischen Partnern, zuvörderst von Deutschland, gegen Russland und gegen das Assad-Regime.

Entscheidend für die Erfolgsaussichten der sogenannten „Oppositionskräfte“ und der Türkei ist die Zukunft der Lufthoheit der russischen Luftwaffe. Um eine Aussicht auf Erfolg haben zu können, muss die Lufthoheit Russlands, welche es nach dem Rückzug der Amerikaner ungeteilt hat, fallen. Die Türkei hat von der NATO beziehungsweise den USA die Einrichtung einer Flugverbotszone (no-fly zone) gefordert. Dass dem so ohne weiteres gefolgt wird, ist unwahrscheinlich. Die Türkei steht vor der Herausforderung, ihren NATO-Verbündeten „ihren Willen aufzuzwingen“.

In diesem Sinne hat die Türkei ein Tabu gebrochen: Sie hat in der ersten Februar-Hälfte 2020 mit der Verteilung von sogenannten MANPADS an ihnen verbundene irreguläre Kämpfer in der Region begonnen. Diese schultergestützten Luftabwehrwaffen sind hoch-wirksam – seit den Erfahrungen in Afghanistan und der Hortung in Ghaddafis riesigen Waffenarsenalen, die nach 2011 auf den „freien Markt“ kamen, ist deren Proliferation hoch-umstritten. Geraten sie, inflationiert, in die falschen Hände, dann ist es vorbei mit der unbestrittenen Lufthoheit der führenden Militärmächte, wenn sie sie denn in Anspruch nehmen wollen – zugleich ergibt sich ein erhebliches Terrorpotential im Einsatz gegen Passagiermaschinen der zivilen Luftfahrt.

Das Druckmittel “Auslösen von Migrantenströmen”

Die Migrationswelle, die im Sommer 2015 einsetzte, hat Europa, aber insbesondere Deutschland, in den Grundfesten verändert. Wissenschaftliche Berichte können das Anschwellen der Welle im Verlaufe des Jahres 2015, auch regional, mit Schwerpunkt im Osten, an der Grenze zur Türkei, dort vor allem in der Ägäis, nachvollziehbar machen. Die große Frage in diesem Kontext ist bis heute erstaunlicherweise ungeklärt: War es wirklich eine subjektlose Welle – oder gab es hinter dem Auslösen der Welle ein Subjekt? Die übliche subjektlose Sprechweise ist Ausdruck eines angstvollen Umgangs mit dieser tabu-besetzten Frage.

Ich habe nur einen einzigen Text bislang gefunden, einen Aufsatz im Rahmen einer Dissertations-Vorbereitung an der Europäischen Universität Florenz, welcher die Zahlen des Anschwellens auf Wochenbasis nachvollziehbar gemacht hat. Demnach sind die Zahlen seit der ersten Woche des August 2015 in der Ägäis sprunghaft gestiegen und dann bis Oktober stetig angestiegen. Es steht die Frage im Raum, welche Gespräche mit welchen Ergebnissen im Monat zuvor mit der Regierung der Türkei geführt worden sind. Eine journalistische oder wissenschaftliche Analyse, welche dieser Frage nachgegangen ist, habe ich bislang nicht entdeckt – und habe auch bislang keinen Journalisten in Deutschland gefunden, der bei seinen rückblickenden Recherchen in der Türkei dieser politischen Frage nachzugehen Interesse gehabt hätte.

Nun scheint sich diese ungeklärte Geschichte zu wiederholen. Nun scheint deutlich zu werden, dass die Option „Migrantenschleuse“ als „Waffe“ (im Clausewitzschen Sinne) beziehungsweise als Pfand für einen Deal genutzt wird. Daraus schließe ich, dass im Juli 2015 um einen Deal verhandelt worden sein dürfte. Die Forderungen, die Erdogan diesmal – öffentlich – stellt, sind so plakativ, dass es, so meine Interpretation, darum nicht ernstlich gehen kann. Die eigentlichen Zugeständnisse, die für Idlib – nicht-öffentlich – gesucht werden, sind vielmehr militärischen beziehungsweise sicherheitspolitischen Charakters.


Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>