Kriegsspiele im Levantinischen Meer – um Nichts

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Nun rammen sie sich wieder gegenseitig mit ihren Kriegsschiffen, nun vor der Küste der Türkei: Dejà vue, wie im November 2018 im Schwarzen Meer. In diesem konkreten Fall hat Griechenland ein Interesse daran, es zu einem Zusammenstoß kommen zu lassen, den es einigermaßen glaubwürdig als Angriff eines türkischen Kriegsschiffes darstellen beziehungsweise der Weltöffentlichkeit verkaufen kann. Griechenland und Zypern einerseits und die Türkei andererseits wollen sich um ein Nichts militärisch streiten, denn das dort eventuell vorhandene Erdgas wird bald wertlos sein.



 

Historischer Hintergrund

Nun rammen sie sich wieder gegenseitig mit ihren Kriegsschiffen, nun vor der Küste der Türkei. Dejà vue, wie im November 2018 im Schwarzen Meer, in der Meerenge vor der Brücke von Kertsch. Ort ist diesmal das östliche Mittelmeer, speziell der nordwestliche Zipfel des Levantinischen Meeres, schon außerhalb der Ägäis, vor der östlichen Süd-Küste der Türkei. Es geht um jenes Meer, wo wie in der Ägäis auch noch nach dem Ergebnis des Griechisch-Türkischen Krieges von 1919 bis 1922 die Inseln vor der anatolischen Küste weitenteils griechisches Territorium schon waren beziehungsweise im Bevölkerungsaustausch ethnisch griechisch erst wurden.

Genau genommen geht es heute bei dem Clash in den Gewässern nahe der Insel Kastellorizo um eine völkerrechtliche Situation, die Ergebnis eines Nachfolgegeschehens jenes Krieges ist. Nach 1918, dem scheinbaren Ende des Ersten Weltkriegs, gab es weitere Kriege, Beutezüge gegen geschwächte Ex-Imperien. Im Nordosten war der Polnisch-Sowjetische Krieg die Konsequenz dessen, dass sich Pilsudsky anschickte, die Träume von Großpolen aus Beständen des vermeintlich zerfallenden zaristischen Russlands militärisch zu zimmern. Weiter südlich spielte sich ein ähnlicher Vorgang mit Beutestücken des zerfallenden Osmanischen Reiches ab. Während im Norden die sowjetische Führung, mit der Roten Armee, schon nach zwei Jahren Revanche zu nehmen in der Lage war, ist es im Süden etwas anders gelaufen. Dort hat Kemal Atatürk den Griechisch-Türkischen Krieg mit einer griechischen Niederlage abschließen können, hat aber Gebietsabtretungen hinnehmen müssen. Erst die Wendung zur islamischen Republik der Türkei, unter Erdogan, hat dem Revanchismus die militärischen Erfolgsaussichten geliefert, die ihn zu einer realistischen Option hat werden lassen. Die Türkei ist heute eine revisionistische Macht, sie will expandieren. Konkret: Die Gebietsabtretungen als Ergebnis des Ersten Weltkriegs und des Griechisch-Türkischen Krieges von 1919 bis 1922, festgehalten in den Verträgen von Sèvres und Lausanne, akzeptiert sie nicht.

Das Gebiet mit der und um die Insel Kastellorizo ist geographisch Teil des sogenannten „italienischen Dodekanes“: der Inselgruppe, die Italien 1912 besetzt hatte – im Ersten Weltkrieg war sie Italien von der Entente in einem Geheimvertrag zugesagt worden, im Tausch gegen dessen Kriegseintritt gegen das Osmanische Reich. Die Insel war 1915 von Frankreich besetzt worden, 1921 wurde das Gebiet absprachegemäß an Italien übergeben und das wurde mit dem Vertrag von Lausanne (1923) und schließlich im bilateralen Vertrag Italiens mit der Türkei vom 4. Januar 1932 auch einvernehmlich völkerrechtlich gesichert. Hintergrund ist, dass auch Italien sich für verspätet gekommen hielt und schließlich Mussolini die Strategie verfolgte, eine Kolonialmacht mit Dominanz im erweiterten Mittelmeerraum zu werden, deswegen der expansive und völkermordende Überfall schließlich 1935 auf Äthiopien, welches sich seinerseits rund 50 Jahre zuvor als innerafrikanische Kolonialmacht nach dem Vorbild der europäischen Großmächte bereits etabliert hatte …

Kastellorizo, zehn Quadratkilometer groß, ist heute der östlichste Punkt Griechenlands. Das ist Ergebnis der Allianzbildung im Zweiten Weltkrieg. Italien hatte abzugeben, Griechenland nahm – die Türkei kam nicht zum Zuge. Vor 20 Jahren noch glich Kastellorizo eher einem Geisterdorf. Die ursprüngliche ethnisch griechische Bevölkerung, in der Größenordnung von 20.000 Einwohnern, hatte unter der „Kolonialherrschaft“ der Italiener sich entschieden auszuwandern, vor allem nach Australien. Offenkundig wegen des aufziehenden Konflikts mit der Türkei um die Hoheit zur See, die wirtschaftliche Nutzung von Bodenschätzen, hat der griechische Staat seitdem aber in die fast menschenleere Insel unverhältnismäßig viel investiert. Die Betreuung der wenigen Schüler und die ärztliche Versorgung dort sind besser als auf vielen größeren griechischen Inseln. Auch die Verbindung, qua Schiff und Flugzeug, ist subventioniert, um das Eiland trotz seiner abgelegenen Lage attraktiv zu machen. Der Erfolg: Ausländer, vor allem Italiener, danken es.

Warum sind hochgerüstete Kriegsschiffe im Einsatz? Warum rammen die nur schießen aber nicht?

Dort, in diesem Seegebiet, ist es am 12. August 2020, also noch nach der erfolgreichen Intervention am 21. Juli von Bundeskanzlerin Merkel, die zugleich den EU-Ratsvorsitz innehat, zu einer Kollision einer Fregatte der Griechischen Marine mit einer der Türkischen Marine gekommen. Letztere gehörte zu einem Marine-Verband, der dem seismischen Forschungsschiff Oruc Reis Begleitschutz gab. Das griechische Schiff war die Fregatte Limnos (F451) (Elli-Klasse) – das erlitt nur begrenzte Schäden. Bei dem türkischen Schiff handelt es sich um die Fregatte TCG Kemal Reis (F-247) (Barbaros-Klasse). Die Schäden an dem Schiff der Türkischen Marine sind dagegen erheblich, sodass es in die Werft muss und für Monate ausfällt. Beide Regierungen sind entschieden, den Vorfall nicht an die große Glocke zu hängen, anders als bei dem Vorfall in der Straße von Kertsch. Solche Operationen werden heute von beiden Seiten filmisch dokumentiert. Damals meinte eine Seite einen Vorteil davon zu haben, wenn sie Filmmaterial ins Internet stellte und über Social Media Kanäle verbreitete. Es geht immer um ein Zielen auf die internationale Öffentlichkeit. Es geht um die Gewinnung öffentlicher Meinung zu der legitimatorisch angeblich entscheidenden Frage: Wer hat angefangen?

Hintergrund ist ein Konflikt um Exklusive Wirtschaftszonen zur See (AWZ), jenseits der Territorialgewässer. Einen solchen offenen Konflikt hat die Türkei nicht nur mit dem NATO-Partner Griechenland, sondern auch mit dem nicht-NATO- aber EU-Mitglied Zypern. Die Türkei hat sich zudem in die Rolle eines Außenseiters manövriert – die Anrainer im östlichen Mittelmeer, die Erdgasvorkommen vor ihren Küsten entdeckt haben oder stark vermuten, haben untereinander durchaus ähnliche zweiseitige Seezonen-Abgrenzungskonflikte wie er nun zwischen Greichenland und der Türkei wieder virulent geworden ist. Sie aber haben sich in dem East Mediterranean Gas Forum (EMGF) zusammengetan und haben es geschafft, mit der Erkundung und Förderung zu beginnen, obwohl ihre Konflikte untereinander nicht gelöst sind. Die Türkei allein haben sie ausgeschlossen – die Türkei ist unter Nachbarn ein Outcast; und verhält sich entsprechend.

Das seismische Forschungsschiff Oruc Reis war anscheinend zur Erkundung in die AWZ vor Kastellorizo gesandt worden – wenn es denn so war. Dass es anders war, ist dem zu entnehmen, dass der Militärberater des griechischen Regierungschefs sich in einem Interview gleichsam verplappert hat und danach umgehend zurückgetreten ist. Also wird wahr sein, was er sagte, und danach ging es türkischerseits nur um eine Demonstration, als Retorsion für das gerade geschlossene Abkommen zwischen Griechenland und Ägypten zur Abgrenzung von Wirtschaftszonen. Aber unterstellt, die Oruc Reis habe tatsächlich seismische Erkundungen durchgeführt, wie die griechische Seite als Teil ihrer Pressepolitik behauptet: Ist die Erstellung von Bildern des geologischen Untergrundes bereits eine „wirtschaftliche Nutzung“? Naheliegend ist das nicht, auch wenn die seismische Erkundung zweifelsfrei, wie fast alle (geologisch-wissenschaftliche) Erkundung, auch als Vorbereitung einer wirtschaftlichen Nutzung angesehen werden kann – wenn denn die spätere Nutzung des Erdgases auch wirklich „wirtschaftlich“ zu sein verspricht. Man erkennt, auf welchem Niveau, welchem dünnen Eis von rechtlicher Klärung, hier agiert wird – die konkret anstehende Rechtsfrage wird übergangen, es wird umstandslos nach oben gegriffen, es halte sich um einen Akt eines Großkonflikts. Es wird allseits schon konzeptionell eskaliert.

Das Kalkül hinter der taktischen Vorgehensweise der Regierungen und ihrer Marinen ist leicht verständlich. Völkerrechtlich ist kristallklar, dass eine AWZ nicht zum Territorium eines Nationalstaates zählt. Ein „Eindringen“ in die (reklamierte) AWZ eines anderen Staates, welches dieser, aufgrund seiner Rechtsauffassung, für illegal hält, stellt dessen ungeachtet keinen „militärischen Angriff“ auf einen anderen Staat im Sinne der UN-Charta dar und konstituiert damit keinen Anlass für das dort legalisierte Selbstverteidigungsrecht. Diese Einschränkung gilt allerdings nicht für Kriegsschiffe selbst – werden die angegriffen, wo auch immer, dann gilt das als Angriff auf einen Staat. Die Taktik der Kontrahenten ist deshalb immer die eines Katz- und Maus-Spieles, jede Seite vermeidet den „Ersten Schuss“ – Ramm-Manöver gelten nicht als Schüsse, sie müssen als „dummer Zufall“ ambivalent bleiben.

Deswegen ist die Urteilsfähigkeit der Öffentlichkeit in den NATO-Staaten so wichtig. Es wird nämlich selbstverständlich immer darauf abgezielt, sagen zu können: ‚Der andere hat angefangen!’. Wenn die Medienvertreter in den Zielländern dieses Blaming-Spiel mitmachen, dann ist es nicht mehr weit bis zur Allianzbildung und zu der Bereitschaft, als Allianzpartner gegebenenfalls mitzuschießen gegen denjenigen, der im Unrecht sei und außerdem noch begonnen habe. Das gilt dann als „Wertegemeinschaft“ – ist es aber nicht. Es ist lediglich, im besten Fall, Unverstand unserer Medienschaffenden.

In diesem konkreten Fall hat Griechenland ein Interesse daran, es zu einem Zusammenstoß kommen zu lassen, den es einigermaßen glaubwürdig als Angriff eines türkischen Kriegsschiffes darstellen beziehungsweise der Weltöffentlichkeit verkaufen kann – dann nämlich erst kann es seine Allianzpartner mit Recht um militärischen Beistand bei seiner „Verteidigung“ bitten. Diese Qualität hatte der Ramm-Vorfall vom 12. August anscheinend nicht, auch wenn die türkische Seite, gemessen am Schadensausmaß, offenkundig den Kürzeren zog.

Der materielle Konfliktanlass – schwer zu erkennen

Der Anlass für das in der Großregion gesteigerte Interesse daran, Linien auf die Seekarten zu ziehen und zu sagen: „Das gehört mir!“, „Das ist meine AWZ!“, sind die Funde von Erdgas im östlichen Mittelmeer. Das begann mit dem Tamar-Gas-Feld vor Israels und Gas-Feldern vor Ägyptens Küste. Rekordfund war dann, in 2010, das Leviathan-Feld wieder vor Israel, aber im nordöstlichen Teil, hineinragend in ein See-Gebiet, welches zwischen Israel und dem Libanon strittig ist. Einen ungelösten seerechtlich-territorialen Konflikt mit dem Libanon gab es somit bereits zuvor, der ist, trotz US-Vermittlung über mehr als ein Jahrzehnt, nicht gelöst. Der Konflikt wurde durch den Fund verschärft, weil man meinte, nun einen Schatz gefunden zu haben.

Seit Ende Dezember 2019 wird aus dem Leviathan-Feld gefördert, die Förderplattform steht in israelischen Territorialgewässern. Betreiber ist Gazprom. Das Leviathan-Feld spielt deshalb eine herausgehobene Rolle, weil damit die Export-Perspektive aufkam, um die Riesenmengen aus den bisherigen Funden aber auch aus denen, die noch erwartet werden, insbesondere im Norden, also vor der türkischen Küste aber gegebenenfalls nicht in der AWZ der Türkei, zu Geld zu machen. Die Perspektive richtete sich naturgemäß auch gen Westen, eine Unterwasserpipeline mit Anlandepunkt in Süditalien (EastMed) wurde bereits konzipiert.

Nun verfolgt die EU bekanntlich aber eine Klimapolitik. Die besagt, dass die Treibhausgasemissionen dieser Region bis 2050 auf „netto Null“ zu gehen haben, das ist „Klimaneutralität“. „Null“ heißt: Kein Molekül eines verbrannten fossilen Energieträgers darf mehr vom Boden der EU aus emittiert werden. Der Erdgasimport wird dann, spätestens, Null sein. Eine Gas-Absatzplanung, die via EastMed den Markt der EU in den Blick nimmt, wäre unprofessionell, wenn sie diese Nachfragebeschränkung nicht in Rechnung stellte. Klug wäre zudem zu realisieren, dass Europa mit Pipeline-Erdgas eher überversorgt ist.

Täte man das, dann ergäbe sich als Ergebnis: Der Absatz von Erdgas in die EU, nach Errichtung all der dafür erforderlichen Ferntransport-Infrastrukturen, ist in einem so geringen Ausmaß (beziehungsweise zu so unattraktiven Wettbewerbspreisen) nur möglich, dass die Amortisation all der dafür geplanten Infrastruktur-Investitionen ausgeschlossen ist. In diese Infrastrukturen noch zu investieren ist unklug, weil der Zug bereits abgefahren ist. Es gilt, die – naheliegende – Tatsache zur Wahrnehmung zuzulassen: Man mag durch seismische Exploration, durch darauf spezialisierte „Forschungsschiffe“, zwar Erdgas weiterhin finden; dieses zusätzlich gefundene Erdgas aber stellt, anders als früher, keinen Boden-„Schatz“ mehr dar. Sich mit militärischen Mitteln um etwas zu streiten, was wertlos ist, ist Unsinn. Es spricht nichts dagegen, dass seismische Schiffe die Bodenformationen in einem Gebiet erkunden, welches möglicherweise eines anderen Staates AWZ ist. Anders als früher ist es wirklich nur noch eine reine Beobachtung, so folgenlos wie das Beobachten seltener Fische. Es ist nur noch Forschungs-Tourismus.

Griechenland und Zypern einerseits und die Türkei andererseits aber wollen sich um das Nichts militärisch streiten. Die NATO ist zögerlich darin, für eine der beiden Konfliktparteien Stellung zu beziehen – verständlicherweise, denn beide Seiten in dem Konflikt sind NATO-Partner. Nicht so die EU. Die beziehungsweise deren Außenpolitischer Dienst tut so, als ob sie bei diesem Streit um Nichts noch Stellung beziehen müsse auf der Seite ihrer Mitglieder. Kinder, die raufen, brauchen zwar Solidarität ihrer Eltern – Nibelungentreue aber ist schädlich.


Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>