Aussichten zu den US-Wahlen 2022 und 2024: Republikaner und Integrität des Wahlsystems in gemeinsamer Abwärtsspirale auf dem Weg zum Sieg

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Donald Trump hat seine Vasallen auf ein Shibboleth verpflichtet und spaltet darüber die republikanische Partei: Jeder gewählte Amtsinhaber hat sich zu entscheiden, zu der Frage, ob Trump die Wahl 2020 verloren habe, ja oder nein zu sagen. Wer „nein“ sagt, gilt als Parteigänger und wird in Zukunft zur Wiederwahl gestützt; wer hingegen „ja“ sagt, wird in den Chancen seiner Wiederwahl geschmälert, durch Lancierung konkurrierender, Trump loyaler Kandidaten, auch durch deren finanzielle Unterstützung – Trump hat nämlich praktisch die Parteikasse an sich gerissen und sorgt dafür, dass möglichst alle potentiellen GOP-Financiers nicht in die Kasse zahlen, die der Parteiführung untersteht, sondern in seinen Wahlkampffonds, in dem er zudem noch einen erheblichen Überschuss aus der letzten Wahl gehortet hat. Das Ganze ist ein elementarer Mechanismus der Loyalitätsbekundung, wie in der Mafia erprobt.



 

In den USA ist 2021 allen Komplikationen zum Trotz ein Wechsel der Administration auf Bundesebene erreicht worden. Der neue Mann im Weißen Haus macht einen exzellenten job. Möglich ist ihm das vor allem dank seines umfassenden Erfahrungsschatzes sowie seiner Netzwerke – entsprechend hat er viele fähige Personen gewinnen können, ihm zur Seite zu stehen und Ämter zu übernehmen; häufig Personen, die vom ersten Tag an in der Lage waren, ihr Amt auch auszufüllen.

Doch schon mittelfristig und strategisch, im Hinblick auf den Bestand einer Demokratie und eines verlässlichen Allianzpartners in den USA ist das unerheblich. Die neue Administration regiert im wesentlichen aus sich selbst heraus, mit Dekreten. Im Kongress läuft nichts – das Scheitern selbst der Einsetzung einer Kommission im 9/11-Stil zur Aufarbeitung des Sturms auf das Capitols am 6. Januar 2021 spricht Bände. Das 60-Prozent-Prozent-Quorum im Senat verdammt den Gesetzgeber angesichts der gegebenen parteipolitischen Gespaltenheit zur Irrelevanz. Früher, als es einen Migestaltungswillen des Gesetzgebers ‑ insbesondere der Opposition ‑ gab, sicherte dieses hohe Quorum, welches wir aus Deutschland nicht kennen, genau dies; und vor allem den Zwang zum Kompromiss, zum Aushandeln. Was aber einmal beschlossen war, hatte Bestand über wechselnde Zusammensetzungen der beiden Kammern des Kongresses hinweg. Der Kongress hatte Macht, die einzelnen Kongressmitglieder hatten einen je eigenen Gestaltungsraum. Das machte die Mitgliedschaft für Macht-Freaks so attraktiv. Das ist nun vorbei. Durch den Kongress kann nur noch durchgehen, was politisch irrelevant ist. Nun wird auf dem Hügel nur noch „wir gegen die“ gespielt. Wem das zu banal und langweilig ist, wird ausscheiden – warum sollte ein Mitch McConnell unter solchen Bedingungen noch an seinem Amt kleben?

Entscheidend ist, was sich als Ergebnis der nächsten Wahlen, in 2022 und dann in 2024, ergeben wird. Das ist von der Qualität des gegenwärtigen Regierens in Washington weitgehend unbeeinflusst. Die Situation in den USA ist aktuell eine Besonderheit. Es kommt allein auf die Entwicklung der Republikanischen Partei (GOP) an. Das macht die Entwicklung so gut überschaubar.

Der Hintergrund: GOP-Aussichten und Wahlbedingungen

Die Entwicklung der GOP ist eine Entwicklung in Synergie mit dem Wahlsystem in den USA, dessen Weiterentwicklung. Die Verwobenheit beider ist in Zukunft extrem bedeutsam. Das Problem der GOP, so wurde in einer früheren Kolumne, vom Oktober 2017, einmal erläutert, bestehe darin, dass sie, bedingt durch die demographische Entwicklung, strukturell mehrheitsunfähig werde – es wachsen überproportional Bevölkerungsschichten (Schwarze, Latinos) zu, die von den Demokraten weit besser ansprechbar sind.

Bei einem fairen ‑ man kann auch weniger wertend sagen: selbst bei einem gegenüber heute unveränderten ‑ Wahlsystem würden die Republikaner stetig mehr in der Versenkung verschwinden, die USA würden auf Bundesebene zu einem Ein-Parteien-System mutieren – mit einer wirklichen Demokratie, einer mit Amtswechsel, wäre es zu Ende. Das wissen die republikanischen Amtsträger natürlich auch.

Es gibt eine zweite Variante, bei einem unveränderten Wahlsystem: Die Republikaner ziehen aus der Einsicht, dass sie, wenn sie sich nicht verändern, dem Untergang geweiht sind, keine Wahlen mehr gewinnen können, die andernorts übliche Konsequenz: Sie passen sich an, an den Wandel der Wählerschaft. Das Ergebnis wäre der bekannte Kampf beider Großparteien um die „Mitte“, wie er aus Deutschland vertraut ist.

Die Besonderheit von Trumps völlig überraschenden Konzept in seinem ersten Wahlkampf, in 2016, auf das kein Wahlkampffinanzierer einen Pfifferling setzte, war, dass er rechts neue Wählerschichten aktivierte – also aus jenen 50 Prozent, die habituell nicht wählen gehen, – und zugleich die angestammten GOP-Wähler (aus der Mitte) nicht verlor. Das war einmalig möglich, weil er in seinem habituellen Verhalten nicht so bekannt war wie heute. Er verhielt sich zwar nicht wie ein Wolf, der Kreide gefressen hatte, aber damals glaubten die angestammten GOP-Wähler der Mitte, sein Verhalten sei Wahlkampfgetöse, er sei nicht wirklich ein Wolf, er spiele den nur. Seine „Entzauberung“ ist heute vollzogen. Man weiß genau, was man an ihm hat.

Bei einem zweiten Anlauf hat Trump diese Entzauberung, die Bewegung seines Images aus der Ambiguität in die Eindeutigkeit, in den habituellen Wählerschichten der Mitte in Rechnung zu stellen. Das Ergebnis der Wahl im November 2020 hat bereits gezeigt, worum es geht. Trump konnte da die Verluste in der Mitte durch Zugewinne auf der rechten Seite mehr als ausgleichen, sein Konzept ging isoliert betrachtet erneut auf. Nur gilt eben auch: Sein Aktivierungspotential hat zwei Seiten: Aus dem Pool der Wahlverweigerer aktiviert er nicht allein Anhänger für sich, sondern auch Gegenwähler. Davon gab es bei der jüngsten Wahl zuviele. Im Ergebnis, im National Popular Vote, also wenn man éin US-weites Verhältniswahlrecht unterstellte, hat Biden so über Trump gewonnen. Dass er rechtlich gewonnen hat, mit hauchdünnen Mehrheiten in wenigen Staaten, aber zum Glück in mehreren, steht auf einem anderen Blatt.

Eine solche Analyse legt eine dritte Option nahe: Das Wahlrecht so anpassen, dass eine an Trump angepasste GOP gewinnen kann. Das Wahlsystem muss dazu so verändert werden, dass „Gegenwähler“ in hinreichender Zahl abgehalten werden. Also eine Option der Wahlsystem-Manipulation. Eine realistische Option ist das, weil die USA eine Republik sind, die, anders als die in Europa, nicht durch Wandlung einer vorherigen zentralen Herrschaft zur demokratischen Republik geworden sind, sondern durch Gründung von unten. Damit sind viel mehr Rechte, als von Republiken in Europa gewohnt, bei den US-Bundesstaaten verblieben – dazu gehört insbesondere das Wahlrecht. Hinzu kommt, dass die Wahldurchführung in den Händen der Verwaltung liegt, also manipulationsanfällig ist zum Vorteil der jeweils herrschenden Partei, meist auf County-Ebene.

Die Praxis der Wahlsystem-Manipulation ist auch längst etabliert: Seit gut zehn Jahren wird das in einem solchen Ausmaß erfolgreich praktiziert, dass in einem einmal von den Republikanern „eroberten“ Staat so gut wie kein Machtwechsel mehr gelungen ist – die Republikaner haben die legislative Kontrolle in 30 (von 50) Bundesstaaten. Die Kunst des Manipulierens, und das beidseits der Grenzen des rechtlich Zulässigen, hat enorme Fortschritte gemacht. Und die Demokraten, die das sehen, sind natürlich nicht untätig, beide Seiten sind in einer Manipulations-Eskalations-Spirale verklammert, wie bei einem klassischen Rüstungswettlauf.

Das Rechtssprechungssystem ist ebenfalls involviert, schiebt auch manchmal gewissen Taktiken und Techniken der Manipulation der Wahlbedingungen einen Riegel vor – im Ergebnis aber ist das unerheblich, weil die Justiz regelmäßig zu spät kommt. Und für den einen verbotenen Riegel finden sich leicht zehn Substitute; es ist wie beim Kopf-Abschlagen der Hydra. Die Justiz vermag mit ihren Mitteln, den vielen Einzelfallentscheidungen, der Eskalationsspirale bislang keinen Einhalt zu gebieten, sie läuft hinterher. Bei einer höchstrichterlichen Befassung könnte das anders aussehen – aber der neubesetzte Supreme Court in Washington rührt sich bislang nicht.

Vor diesem Hintergrund ist erwartbar, was aktuell geschieht: Es werden Pflöcke eingeschlagen. Und das zu beiden verbundenen Handlungsfeldern

  • Führung der GOP,
  • Wetterfest-machen der Wahlsysteme in GOP-regierten Staaten.

Der Kampf um Ausrichtung und Führung der Republikanischen Partei ist entschieden

Die Entscheidung, wie die GOP im Hinblick auf die Wahlen im November 2022 geführt wird, welches Image sie sich gibt, ist gefallen. Trump hat sich durchgesetzt, in einem kurzen, harten Machtkampf, zuletzt gegen Liz Cheney. Um den Vorgang zu verstehen und ihn einordnen zu können, braucht man etwas an Kenntnissen zum Hintergrund, zu den Strukturen der GOP – und auch zum Alter der beteiligten Personen. Es gibt eben auch „long game“-Kalküle; da kann es Sinn machen, eine prägnante, Image-bildende Niederlage in der Gegenwart in Kauf zu nehmen, doch solche Kalküle sind nur bis zu einer gewissen Altersgrenze machbar.

Die „natürlichen“ Führungspersonen der GOP sind die beiden höchsten Amtsträger in Washington, also die Führer der republikanischen Fraktionen im Senat (Mitch McConnell (79)) und im Repräsentantenhaus (Kevin McCarthy (59)), sowie drittens die beziehungsweise der Republican Conference Chair(woman) (im Repräsentantenhaus). Dieses Amt hatte bis vor kurzem Liz Cheney (54) inne, als Nachfolgerin von McCarthy. Das Amt ist ein Sprungbrett, hat auch viele Bezüge zu parteiinternen Aktivitäten. Da die Parteistrukturen in den USA traditionell schwach sind, bietet dieses Amt ein Substitut. Liz Cheney sitzt also gegenwärtig der wöchentlichen Sitzung der republikanischen Fraktion im Repräsentantenhaus vor, bei der über Themen und Gesetzesinitiativen gesprochen wird und auch über die Besetzung von Ämtern der Fraktion entschieden wird. Aufgabe der Republican Conference ist weiters, den Abgeordneten Dienstleistungen wie zum Beispiel Weiterbildungen oder Pressematerialien zur Verfügung zu stellen sowie Treffen zwischen den republikanischen Repräsentanten und den Wählern zu veranstalten. Das Amt des Vorsitzes bietet gute Chancen, viele zu unterstützen und sich so ein Netzwerk von Unterstützern aufzubauen. Das hat Cheney in der Vergangenheit getan, offenbar mit Erfolg. Der Fraktionsvorsitzende McCarthy, der sich entschieden hat, sich als ein Trump-Anhänger zu geben und altersmäßig ihrer Generation angehört, hat sich für ihre Abwahl entschieden. So wurde es vollzogen.

Mittel des Machtkampfes ist ein Shibboleth, auf das Trump seine Vasallen verpflichtet und darüber die GOP spaltet: Jeder gewählte Amtsinhaber hat sich zu entscheiden, zu der Frage, ob Trump die Wahl 2020 verloren habe, ja oder nein zu sagen. Wer „ja“ sagt, wird von ihm in seinem Heimatwahlkreis verfolgt, in den Chancen seiner Wiederwahl geschmälert, durch Lancierung konkurrierender, Trump loyaler Kandidaten, auch durch deren finanzielle Unterstützung. Trump hat nämlich praktisch auch die Parteikasse an sich gerissen, sorgt dafür, dass möglichst alle potentiellen GOP-Financiers nicht in die Kasse zahlen, die der Parteiführung untersteht, sondern in seinen Wahlkampffonds, in dem er zudem noch einen erheblichen Überschuss aus der letzten Wahl gehortet hat. Wer hingegen „nein“ sagt, gilt als Parteigänger und wird bei einer Wiederwahl gestützt. Das Ganze ist also ein elementarer Mechanismus der Loyalitätsbekundung, wie in der Mafia erprobt.

Man hat sich in die unübersichtlichen Tage nach dem Morgen des 7. Januar 2021 zurück zu versetzen, als abschließend feststand, dass Joe Biden auch tatsächlich Präsident der Vereinigten Staaten geworden war, und „Nero“ Trump sich ins Exil nach Texas zurückgezogen hatte, schweigend wie eine Auster. Da zwang eine Entscheidung der Demokraten, das erneute Impeachment-Verfahren gegen Trump, die Republikaner auf dem Capitol Hill zur Entscheidung für oder gegen Trump zu stimmen, als Person – das Impeachment selber war ein aussichtsloses Unterfangen, also muss man sich fragen, was denn der Sinn des Unterfangens gewesen sein mag. Spaltung des Gegners nach Loyalitätslinien ist eine übliche Machttaktik. Es war aber eigentlich nur eine Wiederholung desselben Vorgangs zuvor. Die beiden führenden Trump-Anhänger im Senat, Josh Hawley, Senator aus Missouri, und Ted Cruz aus Texas, hatten das herbeigeführt. Die Verfahrensregeln sehen nämlich vor, dass das nur alle vier Jahre zusammentretende Gremium der „Joint Session“ am 6. Januar auf eine Anfechtung aus dem Repräsentantenhaus nur dann einsteigt, wenn auch aus den Reihen der Senatsabgeordneten ein Einspruch eingelegt wird. Dann aber ist namentlich abzustimmen. Herbeigeführt worden war das komplementäre Votum aus dem Senat erst wenige Tage vor dem 6. Januar. Dammbrecher gewesen war der Top-(Yale-)Jurist Josh Hawley.

Liz Cheney jedenfalls hatte sich in jenen Tagen entschieden, ihre Gegenposition bei Strafe ihres Untergangs offen zu vertreten: Sie stimmte beim Abschluss des zweiten Impeachments für die Verurteilung Trumps – das war ihre Kampfansage in den Augen von Trump. Sie setzte voll auf eine GOP, die sich von Trump verabschiedet, von ihm distanziert. Mitch McConnell hatte am 6. Januar für die Anerkennung der Wahlniederlage Trumps gestimmt, hatte diese Worte auch öffentlich in den Mund genommen. Aber schon beim Impeachment stimmte er nicht für die Verurteilung und äußerte sich später nicht mehr, ganz eisern, auch als Trump ihn provozieren wollte, als er ihn öffentlich einen „Hurensohn“ titulierte. Und Mike Pence ist eh völlig unten durch, obwohl er nichts sagt – er hatte es als Sitzungsleiter am 6. Januar in der Hand, die Bestimmung Bidens als Präsidenten zu verhindern; und hat es abgelehnt, zuletzt Aug in Aug in einer Sitzung mit Trump im Weißen Haus am 6. Januar vormittags. Das ist sein Super-Kapitalverbrechen. McConnell spielt gleichsam außer Konkurrenz – er ist zu alt, um noch etwas werden zu wollen oder können. Pence und Cheney hingegen sind jung genug, um für 2024 oder danach noch etwas werden zu wollen.

Klar aber ist auch: Hier geht es um Loyalitätsbekundungen von Profis – und Brandzeichen auf ewig hat die GOP von der Mafia nicht übernommen. Diejenigen, die Loyalität bekunden, tun dies in aller Regel jenseits der moralischen Kategorie, dass sie „lügen“. Es ist eher wie die Abgabe eines Stimmzettels oder der Erwerb einer Mitgliedskarte bei einem Verein. Und das gilt auch umgekehrt, also auch für Liz Cheney, auch wenn sie sagt, die „Wahllüge“ werde sie nicht mittragen. Das ist nur Kommunikation. Es geht allein um die Funktion des Shibboleth.

Für die Positionierung für die Wahl 2022 ist die mit der Abwahl von Liz Cheney am 12. Mai 2021 getroffene Entscheidung der GOP ein Experiment – am Abend zuvor hatte sie noch eine eindrückliche Vermächtnis-Rede gehalten. Getestet wird, ob mit Trumpismus (und komplementärer Restriktion des Zugnags zu Wahlen) beide Kammern auf dem Capitol Hill zurückzuerobern sind. Wenn das gelingt, dann ist der Weg frei, dass die GOP sich gemäß diesem Konzept auch für die Wahlen im November 2024 aufzustellen wird. Wenn nicht, ist alles offen.

Cheney und Pence stehen für eine andere Aufstellung der GOP. Sie stehen für den Fall bereit, dass der nun beschlossene Testlauf der GOP misslingt – nur dann haben sie eine Chance, aber dann schlüge auch ihre Stunde. Und das gilt in gleichem Sinne für 2024, sofern 2022 gelingt. Das dürfte ihr „long game“-Kalkül sein. Ob der Test gelingt, ob gegebenenfalls beide Tests gelingen, ist weitestgehend vom Erfolg allfälliger Gesetzgebung (auf Staaten-Ebene) zur Begrenzung der Wahlbeteiligung abhängig. Und davon, ob der Oberste Gerichtshof als Oberschiedsrichter sich weiter enthält oder sich noch ins Spiel bringen wird.

Es gibt eine weitere mögliche Entwicklung, nach der die Spielsteine neu aufzustellen wären. Das wäre der Fall, wenn Trump noch durch rechtliche Ermittlungen gleichsam „aus dem Rennen“ genommen würde. Er hat zwar noch, in den Tagen nach dem 6. Januar 2021, selbst reihenweise Begnadigungen für die Seinen ausgesprochen, hat aber entschieden, eine solche für sich selber nicht zu oganisieren. Es laufen mehrere aussichtsreiche Rechtsverfahren gegen ihn, unter Führung von Generalstaatsanwälten in demokratisch geführten Jurisdiktionen. Über steuerliche oder finanzmarktrechtliche Vergehen ist Trump sicherlich leicht „in die Zange zu nehmen“ – es ist ja so gut wie ausgeschlossen, dass er keine Insider-Geschäfte während seiner Präsidentschaft gemacht hat.

Ein entsprechendes Verfahren ist bislang nicht angestrengt, aber im demokratisch regierten New York läuft ein steuerrechtlich betontes Verfahren, allerdings fokussiert auf Tatbestände vor seiner Amtszeit. Die Aussichten auf einen Erfolg sind bereits so gut, dass in Trumps Wohnsitz-Landkreis, Palm Beach in Florida, über die Bedingungen einer „Auslieferung“ Trumps aus Florida nach New York nachgedacht wird – ja, da gibt es rechtliche Vorkehrungen, welche einem Gouverneur weitgehende Vorbehaltsrechte einräumen im Falle einer Anklage aus einem anderen Bundesstaat. Trumps Bewegungsfreiheit innerhalb der USA könnte alsbald eingeschränkt sein, er würde dann nur noch in Staaten reisen, wo der Gouverneur Republikaner ist.

Zu erwarten ist auch, dass die seltsam späte Untersuchung der Verzögerung der Entsendung der Nationalgarde am Nachmittag des 6. Janaur 2021 unter Leitung des Pentagon, wo ein Genehmigungsvorbehalt Trumps auf der Hand liegt, noch zu einem Anklagepunkt gegen Trump werden könnte. Dazu müsste man den damaligen Pentagon-Amtschef Miller zu einer Aussage gegen Trump bringen …; Miller hat am 12. Mai erstmals auf dem Capitol ausgesagt, mit Erklärungen, welche den Verdacht auf Trump-Hörigkeit in den entscheidenden Stunden eher erhärten (und ebenfalls hier).

Das Problem mit einer solchen Vorgehensweise, die Trump ins Gefängnis bringt, ist, dass sie leicht und überzeugend als manipulativ herbeigeführt zu denunzieren wäre. Ein auf diese Weise seines Rechts zur passiven Wahl beraubter Trump könnte leicht zu einer Märtyrer-Gestalt und damit noch mächtiger werden. Es bedarf zudem nicht der Person Trumps im Amt des Präsidenten in 2024, an „Jüngern“, die als Stellvertreter dienen können, die im Präsidentenamt ein Trump-Surrogat abgeben würden, gibt es keinen Mangel, mit den beiden bereits erwähnten Gestalten Hawley und Cruz an der Spitze. Es könnte zu einer Arbeitsteilung wie in Polen etabliert kommen. Dort hat der eigentliche Machthaber, der PiS-Chef, kein staatliches Amt inne, weshalb er für ausländische Regierungschefs nicht in persona ansprechbar ist, er sich auch den ganzen zeitaufwändigen Stress von Dauersitzungen erspart. Schaut man sich Trumps angewidertes und provokatives Verhalten bei rituellen Gipfeltreffen von Regierungschefs (G 7; NATO) in den vergangenen vier Jahren an, so könnte er durchaus zu dem Schluss kommen, dass das Kaczyński-Modell der Machtausübung ihm auf den Leib geschnitten sei. Man hat schließlich auch in Rechnung zu stellen, dass Trump, sofern er 2024 erneut antritt, mit dann 78 Jahren an das Bidenschen Alter im November 2020 heranreichen wird.

Konzipierte Wahlrechtsrestriktionen, um die GOP Trumpscher Ausrichtung mehrheitsfähig zu machen

In fünf Bundesstaaten sind die einschlägigen Gesetze, die voting restriction bills, bereits „durch“: Das ist in Arizona, Georgia, Iowa, Montana sowie Florida. In Ohio und Texas sind die Gesetzentwürfe fertig und kurz vor der Verabschiedung. Florida meint, die dortige Gesetzgebung sei eine Modell-Gesetzgebung. Einen Überblick über diese aktuelle Dynamik zu halten, ist naturgemäß schwierig, wird aber natürlich unternommen. Das Brennan Center for Justice führt eine Datenbank der vielen Initiativen und bietet eine breite Palette von Analysen. Inzwischen ist bekannt geworden, dass viele Bundesstaaten die Gesetzesentwürfe von derselben Werkstatt beziehen, von der Heritage Foundation – insofern dürfte die Vielfalt doch begrenzt sein. Es gibt aber natürlich auch wahlsystemische Kalkulationen zum Gesamteffekt – führend ist das Princeton Gerrymandering Project.

Die aktuelle Kalkulation, nach der sich die Konservativen sehr gute Chance ausrechnen, nach der Wahl im November 2022 wieder die Mehrheit der Sitze im Repräsentantenhaus zu erreichen, sieht etwa so aus. Methodisch wird unterstellt, dass genau gleich abgestimmt wird wie im November 2020. Die Frage ist, ob durch veränderte Wahlkreiszuordnung („redistricting“) dieses selbe Abstimungsverhalten im Effekt in einen Erfolg der GOP umwandelbar ist. So formuliert ist es allein eine Aufgabe der Wahlkreis-Gestaltungs-Geometrie. Die Antwort ist „ja“, die Kalkulation sieht etwa so aus:

Republicans start with an advantage. Their party will hold complete power over the redistricting process in 20 states that collectively send 188 members to the House, ….

Democrats will control the process in seven states that send 72 members to the House.

Districts in 16 other states are drawn either by independent commissions or by divided government. The seven remaining states send only one at-large member to the House.

The GOP’s level of control, especially in critical battleground states, may be sufficient to gain the five extra seats they would need to reclaim the majority.

Die Demokraten sind selbstverständlich nicht untätig. Sie streben danach, auf Ebene des Bundes dem Tun republikanisch dominierter Einzelstaaten einen Riegel vorzuschieben. Ihr erstes Gesetz, welches sie als Entwurf in das Repräsentantenhaus einbrachten und dort Anfang März 2021 auch verabschiedeten, H.R.1, ist fast 800 Seiten stark und soll das Wahlrecht grundlegend reformieren; es handelt sich um die Wiedereinbringung des Gesetzes, welches der Abgeordnete John Sarbanes im Jahre 2019 erstmals eingebracht hatte. Zudem haben die Demokraten den „John Lewis Voting Rights Advancement Act“ eingebracht. Hier geht es um die Wiederbelebung des Schutzes von Wählern gegen rassistische Diskriminierung, die im Jahre 1965, der Zeit der Johnson-Regierung, mit dem überparteilich unumstrittenen Voting Rights Act (VRA) erreicht wurde. Noch im Jahre 2006 gab es eine Novelle dazu, die im Senat ohne Gegenstimme angenommen wurde. Im Jahre 2013 dann war der Schutz durch eine rein mit einem Formfehler im Gesetz begründete Entscheidung des Obersten Gerichtshofes erheblich eingeschränkt worden, Section 4 des Gesetzes wurde für ungültig erklärt – die aber enthielt gerade die Vorkehrung, dass Bundesstaaten und Kommunen für Änderungen in ihrem Wahlrecht jeweils eine Vorabzustimmung des Justizministeriums in Washington benötigen. Seitdem ist die Verfeindung unter den beiden Parteien so groß geworden, dass der einstmalige Konsens in völlig unerreichbarer Ferne zu liegen scheint.

In beiden Gesetzen geht es um eine Stärkung der Aufsicht bundesstaatlicher Wahlregulierung durch die Washingtoner Ebene – da es um die Wahl von Repräsentanten in Washington geht, liegt diese Forderung nahe. Es geht aber nicht allein um Aufsicht, es geht auch darum, den Tendenzen zur Korruption des politischen Systems etwas entgegenzusetzen.

Die Registrierung von US-Bürgern für die Wahl soll künftig automatisch erfolgen – gegenwärtig ist es so, dass jedesmal erneut tätig werden muss, wer wählen will. Bei Bundeswahlen sollen die Staaten 15 Tage vor dem Termin Stimmabgaben ermöglichen, Briefwahl wird weniger als bislang ins Belieben von Bundesstaaten gestellt. Strafgefangenen wollen auch die Demokraten in Zukunft kein automatisches Wahlrecht zugestehen, darüber zu entscheiden soll Sache der Bundesstaaten bleiben. Der Unterschied zu bisher: Wer aus der Haft entlassen ist, soll automatisch auch sein Wahlrecht wieder erhalten.

Eine schon legendäre Manipulationsoption ist das sogenannte Gerrymandering, also das Zuschneiden von Wahlbezirken in einer solchen Weise, dass die jeweils dominante Partei dominant bleibt. Hintergrund ist erstens das in angelsächsischen Staaten übliche winner takes all-Prinzip und zweitens die innerstaatliche Migration, die im all-zehnjährlichen Zensus festgestellt wird und der durch Neuzuschnitt von Wahlkreisen Rechnung zu tragen ist, um den Repräsentationsgrad in etwa konstant zu halten und damit dem demokratischen Grundprinzip der Stimmengleichheit Rechnung zu tragen. Der Willkür, die sich im Gerrymandering ausdrückt, wollen die Demokraten ein Ende setzen. Müssen neue Bezirke geschaffen werden, so sollen dies nach dem Vorschlag in H.R. 1 jeweils unabhängige Kommissionen erledigen.

Auch in Sachen Wahlkampffinanzierung schwebt den Demokraten ein erheblicher Reformschritt in Richtung De-Oligarchisierung des US-Politik vor: Jeden Dollar, den Präsidentschafts- oder Kongresskandidatinnen und -kandidaten aus Kleinspenden bis zu 200 Dollar einnehmen, soll die Bundesregierung versechsfachen. Die Mittel sollen mittels erhöhter Geldbußen, wie sie Banken und Konzernen auferlegt werden, aufgebracht werden – auf deren Gesetzesverstöße ist bislang Verlass.

Die Wahlgesetzgebung in Perspektive

Beide Gesetzesinitiativen werden im Senat von den Republikanern absehbar blockiert werden – dass sie nicht zustimmen, ist erwartbar. Das Mittel ihrer Blockade ist künstlich und zugleich sehr grundsätzlich. Rein verfassungsrechtlich gesehen erfordert ein Gesetz eine einfache Mehrheit in beiden Kammern, auch im Senat. Darüber verfügen die Demokraten gegenwärtig auch, dank des so besonderen Wahlumschwungs in Georgia, wo erst Biden gewählt und anschließend in einer Nachwahl im Januar beide Senatssitze an die Kandidaten der Demokraten gingen. Außergewöhnlich war das, weil dieser Staat unter republikanischer Mehrheit steht – und dann schaute die Welt zu, wie die Parteifreunde im Amt von Regierungschef und Justizminister, trotz allen Drucks, den der Präsident in Washington ausübte, sich nicht dafür gewinnen ließen, die Wahlergebnisse zu manipulieren, nachdem die Stimmen abgegeben worden waren. Zu illegaler Wahlmanipulation haben sie nicht die Hand gereicht. Nun aber gehörte Georgia zu den ersten republikanisch regierten Staaten, die eine restriktive Wahlgesetzgebung in ihrem Bundesstaat erließen – legale Manipulation der Wahlbedingungen machen auch die gesetzestreuen Republikanischen Amtsträger in Georgia mit.

Blockiert werden die beiden Wahlgesetz-Vorlagen im Senat über eine prozedurale Vorkehrung, die langfristig besteht, allein auf Basis eines überparteilichen Konsenses – sie wäre mit einfacher Mehrheit abzuschaffen. Ihr Name ist „Filibuster“. Im Jahre 1917 hatte der Senat eine Regel eingeführt, eine Debatte beenden zu können (, um zur Abstimmung überzugehen). Sie besagte, dass es für einen solchen Entscheid ein Quorum von zwei Drittel der Stimmen braucht – im Jahre 1975 wurde dieser Vorbehalt abgesenkt auf drei Fünftel oder eben 60 Stimmen, wenn alle 100 Mitglieder des Senats mitabstimmen. Das heißt wenn eine Partei etwas streitig stellt, ist eine Abstimmung nur möglich, wenn (bei vollständiger Besetzung) ein Fünftel der Vertreter der anderen Partei zustimmt. Das ist die Basis des sagenhaften Prinzips des überparteilichen Aushandelns, welches für Washington typisch war und Stabilität garantierte – der status quo war so ziemlich festgehauen in der Erde. Mit einem Präsidenten, der mit einem Federstrich reihenweise multilaterale Verträge beendete, die nur mit einem solchen Quorum zustande gebracht werden konnten und können, ist diese Washingtoner Epoche beendet.

Die Demokraten sind dabei abzuwägen, ob sie das konsensuale Filibuster-Agreement auf Dauer kippen oder einschränken wollen, um die nur in den jetzigen zwei Jahren sicher bestehende Chance zu nutzen, die beiden Anti-Restriktions-Wahlgesetze auf Bundesebene durchzubekommen. Vollziehen werden sie das klugerweise nur, wenn damit ein Machtumschwung garantierbar wäre. Es steht aber der unkalkulierbare Oberste Gerichtshof im Raume …; deswegen wird es, so meine Vermutung, bei der Tendenz einer zunehmenden Korrumpierung des US-Wahlsystems bleiben. Es fällt angesichts dessen schwer, sich mit Gründen und quantitativ gestützt auszumalen, dass der Trumpismus nach 2024 nicht wieder oben ausschwingt.


Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>