Seehofers „Masterplan“ verwechselt Fluchtursachen mit Migrationsanreizen

 

Die Bundesregierung legt mit Seehofers „Masterplan“ im Angesicht der globalen Herausforderungen einfach die Scheuklappen an. Aus der richtigen Erkenntnis, dass die Herausforderungen weltweiter Migration politischer Lösungen bedürfen, werden die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Brot für die Welt: „Wenn im Masterplan von Fluchtursachen gesprochen wird, sind meist Migrationsursachen gemeint.“ Es wäre Ausdruck nachhaltiger Politik, die eigene Mitverantwortung für die Fluchtursachen anzuerkennen; das reicht vom menschengemachten Klimawandel und seinen Folgen über unfaire Handelsbeziehungen bis hin zu Waffenexporten aus Deutschland in Krisenregionen.

(Berlin, 10. Juli 2018) Brot für die Welt kritisiert den heute vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat vorgelegten „Masterplan Migration“ scharf. Klaus Seitz, Leiter der Politikabteilung von Brot für die Welt, sagt: „Dieser Masterplan ist ein Debakel für die Humanität.“

Seitz: „Im Masterplan heißt es ‚Mitmenschlichkeit ist nicht verhandelbar‘ – doch die vorgeschlagenen Maßnahmen zeugen von einem gegenteiligen Verständnis. Zahlreiche Verschärfungen gegen Schutzsuchende werden postuliert, während kaum ein Wort darüber verloren wird, welche Verantwortung Deutschland gegenüber Flüchtlingen hat. Der Masterplan erweckt schon in der Präambel falsche Eindrücke. Kein Land der Welt könne unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen, heißt es. Dass dies vor allem von Deutschland erwartet wird, ist eine absurde Unterstellung. Der Großteil der Schutzsuchenden weltweit ist außerhalb Europas auf der Flucht, die meisten als Binnenvertriebene. Die Erwartung, dass Entwicklungspolitik vor allem die Flucht nach Europa mindern soll, verkennt die Realität der weltweiten Flüchtlingsbewegungen. Es ist keinesfalls so, dass die Mehrzahl der Flüchtlinge von Süden in den reichen Norden wandert. Die Hauptlast schultern die armen Staaten selbst. Es muss auch eine Aufgabe deutscher Politik sein, sie bei dieser Aufgabe zu unterstützen. Stattdessen setzt der Masterplan auf die Schaffung von ‚sicheren Orten‘ in Nordafrika und der Sahel Region, die ‚robust‘ gesichert werden sollen, auf die Schulung von Grenzbeamten und auf die massive Stärkung des europäischen Grenzschutzes durch Frontex.“

Sophia Wirsching, Referentin für Migration von Brot für die Welt: „Eine dramatische Leerstelle des Masterplans ist die Seenotrettung. Gefordert wird Sicherheit an den Grenzen, doch von den humanitären Verpflichtungen gegenüber den Verzweifelten, die über das Mittelmeer flüchten, ist nicht die Rede. Wenn im Masterplan von Fluchtursachen gesprochen wird, sind meist Migrationsursachen gemeint. Hilfe vor Ort kann durchaus dazu beitragen, Bleibeperspektiven zu verbessern, akuten Fluchtursachen wie Krieg und gewaltsamen Konflikten ist aber mit den Mitteln der Entwicklungspolitik kurzfristig nicht beizukommen. Tatsächlich wäre es Ausdruck nachhaltiger Politik, die eigene Mitverantwortung für die Fluchtursachen anzuerkennen. Das reicht vom menschengemachten Klimawandel und seinen Folgen über unfaire Handelsbeziehungen bis hin zu Waffenexporten aus Deutschland in Krisenregionen.“

Seitz: „Masterplan und Asylkompromiss sind nicht Ausdruck einer zukunftsgewandten Politik. Die Bundesregierung legt im Angesicht der globalen Herausforderungen unserer Zeit einfach die Scheuklappen an. Aus der richtigen Erkenntnis, dass die Herausforderungen weltweiter Migration politischer Lösungen bedürfen, werden die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Migration ist eine historische Normalität und eine internationale Gestaltungsaufgabe.  Es kann nicht Aufgabe der Entwicklungspolitik sein, Migration verhindern zu wollen. Die Vereinten Nationen haben sich mit der Erarbeitung eines globalen Rahmenvertrags für Migration der Aufgabe angenommen, die gemeinsame Verantwortung der Staaten zu stärken. Der Masterplan nimmt mit keinem Wort Bezug darauf.“

„Ankerzentren“ sind kein Ort für Kinder

Zu Seehofers „Ankerzentren“ erklären Save the Children Deutschland und sieben weitere Hilfsorganisationen: „Anker-Zentren sind kein Ort für Kinder. Seehofers Masterplan berücksichtigt die Interessen von Kindern an keiner Stelle. Aus unseren Studien und unserer praktischen Arbeit mit Geflüchteten wissen wir: Kinder haben besondere Bedürfnisse, die auch im Asylverfahren ernst genommen werden müssen. Die Weichen, die direkt bei der Ankunft gestellt werden, sind essentiell für ein gelungenes Ankommen der Jungen und Mädchen. Dazu gehören der Zugang zu Gesundheitsleistungen, umfassender Schutz, Beteiligung und Zugang zu Bildung. Save the Children Deutschland fordert deshalb: Kinder und Familien sollten dezentral untergebracht werden. Wenn sie jedoch in Unterkünften für geflüchtete Menschen leben müssen, dann nur, wenn diese sogenannten Ankerzentren entsprechenden verbindlichen Qualitätsstandards genügen.“

Die an der Erklärung von Save the Children Deutschland  beteiligten Hilfsorganisationen sind: Deutsches Kinderhilfswerk, Terre des Hommes, Pro Asyl, AWO, Paritätischer Gesamtverband, BAFF, World Vision.

Sophia Wirsching ist Referentin für Migration und Entwicklung bei Brot für die Welt.