Erntezeit?

 

Ein Essay von Heiderose Gärtner-Schultz, 12. November 2020

Für mich ist der Oktober nicht nur der Erntemonat, sondern in besonderer Weise der Monat der Äpfel. Gerade hier im Alten Land, dem größten zusammenhängenden Obstgebiet Nordeuropas, in dem Kirschen, Birnen und vor allem Äpfel reif werden. Geworben wird auf den großen Transportern, die die Früchte in ganz Deutschland verteilen, für diese Äpfel mit dem Slogan: „Gereift im milden Klima der Elbe.“

Bis vor kurzem hingen sie an den Bäumen auf unzähligen Feldern in gelben, grünen und roten Farben. Nun sind sie abgeerntet, und man kann sie bei uns in den Hofläden oder bei Discountern unter regionalen Produkten kaufen.

Dr. Heiderose Gärtner-Schultz ist Mitglied im Redaktionsteam von proprium | sinn schaffen – horizonte öffnen.

So griff ich denn nach einen Sixpack Boskop aus dem Alten Land. „Besonders als Bratapfel geeignet“, hieß es auf der Verpackung. Dass es leider eine „Unverpackung“ aus Plastik war, will ich jetzt einmal Außen vorlassen – mea culpa.

Bratäpfel wollte ich noch keine machen, die haben bei mir erst im Dezember Saison. Also waschen, aufschneiden, Kerngehäuse rausschneiden und verspeisen! Irgendwie war das Fruchtfleisch nicht so knackig wie vorgestellt. Aber das ist Natur, das kann schon passieren. Ich nahm mir den zweiten Apfel vor. Bearbeitete ihn genauso und fand ein verfaultes Kerngehäuse, was mich stutzig machte. Die Neugier war geweckt und die restlichen Äpfel mussten dran glauben ‑ und siehe da, alle Kerngehäuse waren angeschimmelt und angefault. Da hatte ich wohl die falsche Packung erwischt, war mein erster Gedanke, so ist das eben, ist aber trotzdem ärgerlich.

Mein nächster Besuch beim Supermarkt ‑ am Obstregal, ich hatte ein Stoffsäckchen mitgenommen ‑ preiste mir die unterschiedlichsten Apfelsorten an. Spannend war für mich das Schildchen, das ich bei einigen fand: „Neue Ernte.“ Ich fragte mich: Warum wird etwas für mich im Oktober Selbstverständliches auf die Schilder geschrieben, wie „Neue Ernte“?

Ich glaube mir wäre dazu nichts eingefallen, hätten sich da nicht die Bilder meiner aufgeschnittenen Boskopäpfel in meinem Kopf gemeldet. Die Vermutung legt sich nah, dass ich letzte Woche alte Äpfel vom Oktober 2019 erstanden habe und der gut gemeinte – oder wie auch immer ‑ Hinweis, dass sich diese Äpfel besonders gut als Bratapfel verwenden lassen, diente der Verschleierung, dass es sich um Vorjahresäpfel handelte, weil man beim Bratapfel das Kerngehäuse in der Mitte entfernt und auf diese Weise eventuell übersieht, dass sie schlecht sind.