Was der Welt noch gefehlt hat…

 

ist das „Mund-abwisch-Tuch. Servietten mit ihrem Zweck zu bedrucken, ich glaube diese Aufschrift mit Benutzungsart ist wirklich eine gute Idee. Ist es Ihnen auch schon aufgefallen, dass so mancher Gast die Serviette neben dem Teller bemerkte, verschämt wegschaute und sie nach dem Essen unberührt liegen ließ?

Ein Essay von Heiderose Gärtner-Schultz, 5. Januar 2021

In meinem Leben gibt es eine ganze Reihe Selbstverständlichkeiten, die eben, weil sie solche sind, nicht erklärt werden müssen. Aber zunehmend berichten Menschen, die im Bildungswesen beschäftigt sind, das nichts mehr selbstverständlich ist. Auch die elementarsten Dinge müssen vermittelt werden, oft in den Schulen, weil das Elternhaus versagt. Ob diese Wahrnehmung an mir, an meiner Generation liegt, dieser Frage will ich nachgehen.

Masken, Mund- und Nasenschutz oder wie auch immer man dazu sagt, ist für mich nicht selbstverständlich. Die Kinder unserer Nachbarn sind im Grundschulalter, sie tragen diese Dinger, ohne dass es ihnen etwas ausmacht, ohne dass es sie stört – es ist etwas Selbstverständliches.

Dr. Heiderose Gärtner-Schultz ist Mitglied im Redaktionsteam von proprium | sinn schaffen – horizonte öffnen.

Was man kennt und was man gewohnt ist, wird zur Selbstverständlichkeit, und das hat mit den Weltbedingungen zu tun, mit denen man aufwächst. Die längerfristig prägenden Ereignisse und die sozialen und umweltbedingten Einflüsse von Jahrgängen erforscht die Soziologie in sogenannten Kohorten. Na ja, so theoretisch ist das nicht so witzig wie in der Praxis.

Bei einer netten Einladung in ein gutes Hotel freuten sich alle auf das hervorragende Essen. Zuerst musste bestellt werden, die Getränke waren an der Reihe. Da fiel im gesamten Lokal der Strom aus. Also funktionierten die elektronischen Erfassungsgeräte des Servicepersonals nicht. Sie entschuldigen sich vielmals und richteten aus, dass man noch nicht wisse, wie das mit dem Essen gelingen könnte, da ein Ende des Stromausfalls nicht abzusehen sei.

Der uns in das Restaurant eingeladen hatte, schmunzelte und antwortete, dass er sich aber über die Getränke freuen würde. Konsterniert und verdutzt wurde er angesehen. „Geht nicht, wie sollen wir die Getränke aufnehmen?“, lautete die Antwort. Alle Gäste, die eher der älteren Generation angehörten, gerieten ins Lachen. Der Gastgeber meinte, dass es doch wohl irgendwo im Restaurant noch einen Stift und Papier gäbe, auf das man die Wünsche notieren könne.

Solange nicht auf dem Clopapier stehen muss, wofür es verwendet werden soll, ist für mich die Welt noch in Ordnung.