Die SPD-Bundestagsfraktion zu einer „zeitgemäßen Entspannungspolitik“

 

Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag hat am 9. Oktober 2018 einen Beschluss gefasst zu „Voraussetzungen und Impulse<n> für eine zeitgemäße sozialdemokratische Entspannungspolitik“. Der Obertitel lautet „Dialog – Vertrauen – Sicherheit“. Nach der Lektüre dieses Beschlusses bin ich ernüchtert. Mein Empfinden ist nicht, dass mit diesem Ansatz mehr an Sicherheit zu erreichen ist; ich bin eher konsterniert über den mangelnden Ausdruck des Empfindens, dass wir in einer massiv labilen Situation leben und deshalb jeder Monat für Spannungseindämmung, für Deeskalation, zählt. Der Beschluss strahlt für mich vielmehr eine Haltung aus, als ob wir alle Zeit noch hätten zuzuwarten, bis der störrische Partner im Osten, der sich vergaloppiert habe, sich doch eines Besseren besinnt – und als ob das in Spaltung resultierende geschichtliche Geschehen nicht die Resultante eines auf Spaltung gerichteten Handelns von Akteuren sei. Das beides drückt sich im einleitenden Absatz in akteurslosen Sätzen aus:

„Der Frieden in Europa ist in den letzten Jahren brüchig geworden. Die Hoffnungen Europas nach dem Ende des Kalten Krieges auf einen nachhaltigen Frieden haben sich nicht erfüllt. Die Teilung des Kontinents wurde bis heute nicht vollständig überwunden, sondern nur weiter nach Osten verschoben. Wir erleben dies unter anderem an den kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine.“

Der Vorgang, der zum Krieg im Donbass geführt hat, war bekanntlich der: Die EU hat auf wirtschaftlichem Feld, im Rahmen ihrer externen Machtprojektion, ihrer Nachbarschaftspolitik, die Ukraine in eine Situation manövriert, wo diese sich zwischen westlicher oder östlicher Wirtschaftsintegration zu entscheiden hatte – Auslöser war also eine Spaltung provozierende Vorgehensweise der EU. Nach der Revolution in Kiew hat Russland unter Einsatz seines Militärs reagiert, um den Raum seiner externen Machtprojektion zu sichern. Weder die zitierte Intonation des Beschlusses noch der Spezialabschnitt zu „Formate regionalisierter Zusammenarbeit prüfen“, wo „intensivierte Beziehungen und Kontakte“ mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) angesprochen werden, spiegeln den spalterischen Ansatz der EU in der Vergangenheit. Ein von Zerrüttung geprägtes Verhältnis ist aber so bekanntlich nicht zu heilen. Ich erwarte nach der Lektüre des SPD-Papiers nicht mehr, dass es in dieser Legislaturperiode zu erfolgversprechenden Vorstößen der deutschen Außenpolitik im europäischen Rahmen zur einer Neubasierung des Verhältnisses zu Russland kommen wird.

Der „Frieden ist brüchig“, meint die Fraktion. Im Klartext heisst das: Der Nicht-Frieden kann jederzeit über uns hereinbrechen. Nach meinem Verständnis sind Russland und der Westen in unheilvolle Kollaboration auf dem selbstgefährdenden Tripp, die in den 1970er und 1980er Jahren eingebauten Sicherungen für ihr militärisch prekäres Verhältnis munter auszuschrauben. Dessen ungeachtet endet der intonierende Einleitungsabsatz lediglich mit einem sehr hohen Ziel:

„Ziel muss es sein, eine auf vereinbarten Normen basierende Ordnung für den europäischen Frieden auf verbindlichem internationalem Recht und nicht auf der Macht des Stärkeren zu etablieren: multilateral statt multipolar.“

Nicht dass ich gegen dieses Ziel etwas hätte. Nur: In meinem aktuellen Unsicherheitsempfinden wäre ich erst dann zumindest etwas beruhigt, wenn die SPD-Bundestagsfraktion weit näherliegende Ziele hätte und ihnen auch Dringlichkeit einräumen sowie Priorität geben würde. Voraussetzung wäre die Anerkennung dessen, dass wir es hier mit einer Deformation eines unaufgebbaren Verhältnisses zu tun haben: mit einer Zerrüttung. Mit Zerrüttungen von Partnerschaften ist professionell umzugehen. Dieses Prädikt verdient der SPD-Beschluss nicht.

US Präsident Trump als vorbildlich heranzuziehen, fällt schwer; aber wo er recht hat, hat auch er eben recht. Bei der Pressekonferenz nach seinem Treffen mit Präsident Putin in Helsinki am 16. Juli 2018 wurde er von einem Journalisten aus den USA gefragt nach der Verantwortung „for the decline in US Relations with Russia.“ Der Fragesteller lieferte auch gleich mit, dass er eine einseitige Schuldzuweisung erwarte:

Do you hold Russia at all accountable for anything in particular? If so, what would you consider them that they are responsible for?“

Trumps Antwort entsprach der Erwartung des Medienvertreters nicht. Sie war im Hinblick auf den Beziehungsaspekt schlicht professionell:

Yes, I do. I hold both countries responsibility. I think the United States has been foolish. I think we have all been foolish. We should have had this dialogue a long time ago, a long time frankly before I got to office. I think we’re all to blame.

In der Sache ist sie relativ trivial – eine Beziehungszerrüttung mit nur einem Schuldigen wurde unter der Sonne noch nicht gesehen; die SPD-Fraktion aber meint noch so tun zu müssen, als ob es diesmal so sei.