Regierung verbirgt Haushaltsbelastungen durch drohende Budget-Überziehungen im Klimaschutz

 

Die Kolumne von Hans-Jochen Luhmann

Bei „normalen“ Luftverschmutzungen sorgen die freien Radikale in der Erdatmosphäre dafür, dass nach Beendigung der Emissionen die Luft nach wenigen Tagen bereits wieder rein ist; der Effekt von Treibhausgasen hingegen folgt den Emissionen verzögert und kumulativ über Jahrzehnte, weswegen Klimapolitik im Mehrebenensystem, wie die EU eines ist, auf gelingende Antizipation der rechtlichen Vorgaben angewiesen ist. Entsprechend versucht die Europäische Kommission auf allen möglichen Ebenen der Climate Governance insbesondere mit „Preisen“ zu arbeiten, also mit drohenden (Straf-)Zahlungen, die bei Unterschreiten der Vorgaben in einigen Jahren gegebenenfalls fällig werden. Die Erwartung ist, dadurch zu einer vertragstreuen Umsetzung in der Innenpolitik der Mitgliedstaaten beizutragen – für Deutschland ist da Seltsames beziehungsweise Dysfunktionales festzustellen, in Medien, Fachszene und Politik gemeinsam.

Die Europäische Kommission hat eine dem angelsächsischen Ökonomismus verbundene Mitarbeiterschaft. Da wird stark in Kategorien von ökonomischen Anreizen gedacht – auch im Verhältnis staatlicher Ebenen untereinander. Bekannt ist, dass zur Durchsetzung europäischen Rechts gegenüber Mitgliedstaaten in letzter Instanz, nach entsprechendem Vertragsverletzungsverfahren, auf Geldstrafen zurückgegriffen wird – nur dadurch ist Deutschland bewegt worden, die hiesige Düngemittel-Verordnung beziehungsweise ihren Vollzug den stickstoffpolitischen Vorgaben der EU anzupassen und den hiesigen Bauern ihren unlauteren Wettbewerbsvorteil durch Umwelt- und Trinkwasserverschmutzung endlich zu nehmen. Wohlgemerkt: Der Preisdruck hat erst gewirkt, nachdem Deutschland die rechtlich gegebene Anforderung über mehr als ein Jahrzehnt nicht erfüllt hat.

Die Klimapolitik adressiert ein Umweltthema, das eine temporal besondere Charakteristik aufweist. Bei „normalen“ Luftverschmutzungen sorgen die freien Radikale in der Erdatmosphäre dafür, dass nach Beendigung der Emissionen die Luft nach wenigen Tagen bereits wieder rein ist. Der Effekt von Treibhausgasen hingegen ist ganz anders geartet: Er folgt den Emissionen verzögert und kumulativ über Jahrzehnte. Deswegen ist Klimapolitik im Mehrebenensystem, wie die EU eines ist, auf gelingende Antizipation der rechtlichen Vorgaben eminent angewiesen.

Entsprechend versucht die Europäische Kommission auf allen möglichen Ebenen der Climate Governance mit antizipativen Elementen zu arbeiten. Insbesondere versucht sie mit „Preisen“ zu arbeiten, also mit drohenden (Straf-)Zahlungen, die bei Unterschreiten der Vorgaben in einigen Jahren nur gegebenenfalls fällig werden, und das auch im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten. Die Erwartung ist, dadurch zu einer vertragstreuen Umsetzung in der Innenpolitik der Mitgliedstaaten beizutragen – also zu antizipativem Verhalten.

Voraussetzung dafür, dass dieses Anliegen gelingt, ist, dass solche Vorgaben in der Innenpolitik der Mitgliedstaaten auch wahrgenommen werden. Das gilt auch für Deutschland. Da ist Seltsames beziehungsweise Dysfunktionales festzustellen, in Medien, Fachszene und Politik gemeinsam.

Finanzierung der Ziel-Verfehlungen im Bereich der Kleinquellen bis 2020

Die Europäische Union greift zur Minderung ihrer Treibhausgasemissionen auf zwei zentrale Klimaschutzinstrumente zurück.

  1. Das Europäische Emissionshandelssystem (EU-ETS) umfasst den Energiesektor, die Industrie und den innereuropäischen Luftverkehr – also die Großquellen. Das Komplement dazu ist
  2. die EU-Lastenteilungsentscheidung – die bestimmt die Minderungsziele für die Nicht-ETS-Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Kleingewerbe und Landwirtschaft; also für die restlichen millionenfachen Kleinquellen.

Beim ETS sind die Unternehmen direkt adressiert, bei Verfehlen müssen sie Rechte zukaufen. Bei den Kleinquellen ist das, der schieren Menge wegen, so analog schwer möglich. Da werden die Regierungen der Mitgliedstaaten treuhänderisch in Verantwortung genommen. Die sollen Regulierungen auf den Weg bringen, die Masseneffekte haben.

In Deutschland sind es mehr als die Hälfte (etwa 56 Prozent) der Treibhausgasemissionen, die nicht unter den EU-ETS fallen sondern aus den Kleinquellen stammen. Auch für diesen Bereich wurden auf europäischer Ebene Minderungsziele festgelegt. Für den Zeitraum 2013 bis 2020 ist das in der EU-Lastenteilungsentscheidung so geregelt und für den Zeitraum 2021 bis 2030 in der EU-Klimaschutzverordnung. Diese Ziele gelten seit 2013 nicht mehr nur für eklektische Zieljahre, vielmehr zählt seitdem jedes Jahr, es gilt das Budgetprinzip. Für jedes Jahr steht einem Mitgliedstaat eine bestimmte Menge an Emissionsberechtigungen zu. Falls die Minderungsziele in einem Jahr nicht erreicht werden, steht den Mitgliedstaaten offen, ein eventuelles Guthaben aus den Vorjahren beziehungsweise eine „Anleihe“ bei seinen Rechten in späteren Jahren zum Ausgleich in Anspruch zu nehmen. Am Ende einer Periode aber muss abgerechnet werden – dafür wird mit einem Nachlauf von gut zwei Jahren gerechnet. Der Ankauf von Emissionsberechtigungen anderer Mitgliedstaaten ist die letzte Möglichkeit zum Ausgleich. Für den Zeitraum der EU-Lastenteilungsentscheidung, also die Periode bis 2020, wird die EU im Frühjahr 2023 das Ergebnis ihrer Überprüfung vorlegen, ob die Emissionen der Mitgliedstaaten durch ausreichend Emissionsberechtigungen abgedeckt waren. Bis zu diesem Zeitpunkt muss ein eventuelles Defizit ausgeglichen werden. Das gilt auch für Deutschland.

Die daraus resultierenden Risiken für den Bundeshaushalt hatte der Bundesrechnungshof (BRH) bereits im November 2020 geprüft.  Deutschland hat sein Minderungspunktziel von minus 14 Prozent (im Vergleich zum Jahr 2005) aus der EU-Lastenteilungsentscheidung im Jahr 2020 zwar knapp erreicht; doch das war schon kein Verdienst der Politik mehr, das war lediglich ein Geschenk des pandemiebedingten Rückgangs der Wirtschaftsleistung. Im Budgetziel hingegen klafft eine Lücke: Deutschland produzierte seit 2016 über mehrere Jahre Emissionsdefizite, die aus Guthaben aus den Jahren 2013 bis 2015 gedeckt wurden. Im Jahr 2019 schließlich war es soweit, dass Deutschland in die Schuldenaufnahme einstieg: Es konnte sein Defizit nur ausgleichen, indem es Emissionsberechtigungen aus dem Jahr 2020 zur Verwendung ein Jahr zuvor nutzte. Nach Angaben des BMWK hat Deutschland einen Schuldenstand von etwa 22 Millionen Emissionsberechtigungen, die es von anderen Mitgliedstaaten zuzukaufen hat. Das BMWK rechnet damit, dass der Preis je anzukaufender Emissionsberechtigung bei etwa 3 Euro liegen wird – ein Schnäppchenpreis angesichts eines ETS-Preises von 80 Euro/t, aber vermutlich realistisch. Damit würden sich Ausgaben aus dem Bundeshaushalt von bis zu 66 Millionen Euro ergeben.

Die Mittel für den Ankauf von Emissionsberechtigungen werden bei Kapitel 0903 Titel 541 41 veranschlagt. Im Entwurf des Bundeshaushalts 2023 sei dieser Titel, so monierte der BRH Ende August in seinen Haushaltsbemerkungen 2023 zum Epl. 09, als Leertitel ausgewiesen. Auch die Finanzplanung für die Jahre 2024 bis 2026 sähe keinen Ausgabenansatz vor. Der Bund muss die fehlenden Emissionsberechtigungen spätestens bis zum Frühjahr 2023 ankaufen. Es sei somit nicht nachvollziehbar, warum das BMWK in seinem Haushalt bislang hierfür keine Mittel bereitgestellt habe. Der BRH fordert das BMWK auf, den Haushaltsgesetzgeber darüber zu informieren wie er beabsichtige, aus welchen Titeln er die für die notwendigen Ankäufe erforderlichen Aufwendungen finanzieren wolle. Die Haushaltsberatungen im Herbst 2022 haben an diesem verbergenden Verhalten ausgerechnet seitens des Klimaschutzministers nichts geändert.

Defiziente Antizipation drohender Zahlungen für die laufende Periode bis 2030

Soviel zum intransparenten Umgang in der Vergangenheit. Deutlich geworden, dass weder die Lastenteilungsverordnung mit ihren preisbesetzten Begrenzungsvorgaben überhaupt bekannt ist noch die angedrohten Preise in irgendeiner Weise in ein staatliches Handeln „umgesetzt“ worden sind. Klimapolitik wurde in Deutschland gemacht, als ob es diese Verordnung nicht gegeben hätte. Nun der Blick nach vorne, zur Periode beziehungsweise zum Jahrzehnt 2021 – 2030, der eigentlichen Herausforderung.

Hintergrund ist die unerhörte Ambitionssteigerung in diesem Teil mit dem European Green Deal der von der Leyen-Kommission, die 2019 ins Amt kam. Während bis 2020 hier eine Minderung um 10 Prozent-Punkte vereinbart war, wurde bereits 2018, in Umsetzung der Versprechungen, die im Rahmen der Verhandlungen um das Paris-Abkommen gemacht worden waren, das Ziel für die nächsten 10 Jahre auf eine Minderung um 19 Prozent-Punkte im EU-Durchschnitt gesetzt. Mit dem Green Deal der vdL-Kommission beziehungsweise dem dahinter stehenden Bündnis ist dieses Ziel nochmals erhöht worden. Im „Fit for 55“-Paket, welches diese Programmatik in Gesetzesinitiativen umsetzt und noch nicht zu Ende verhandelt ist, findet sich für die EU als ganze eine Ambitionserhöhung, gegenüber dem Beschluss von 2018, um weitere 10 Prozent-Punkte bis 2030, also insgesamt auf minus 40 Prozent relativ zu 2005; für das Jahrzehnt bis 2ß30 also um 30 Prozent-Punkte. Für Deutschland findet sich eine Verpflichtung zur Minderung bis 2030 auf die Hälfte, also relativ zu 2020 um etwa 40 Prozent-Punkte in einer Dekade. Diese Steigerung ist mit „unerhört“ gemeint.

Untersuchungen, insbesondere das BMWK selbst in seiner am 12. Januar 2022 veröffentlichten „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“, gehen davon aus, was auf der Hand liegt und mit den geplanten gesetzlichen Änderungen der deutschen Minderungsambition zur Anpassung an das „Fit für 55“-Paket auf europäischer Ebene nur noch strikter werden wird: Ohne zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen in massivem Ausmaß wird Deutschland sein Minderungsziel für das Jahr 2030 im Bereich der Kleinquellen deutlich verfehlen. Laut BMWK würden die im KSG festgeschriebenen Emissionshöchstmengen in der Dekade 2021 und 2030 um insgesamt mehr als eine Gigatonne (1 Milliarde t) CO2-Äquivalente verfehlt werden. Dass Maßnahmen einer solchen präzedenzlosen Massivität in Deutschland durchsetzbar sind, ist so gut wie ausgeschlossen. Deutschland könnte somit die verbindlichen Vorgaben aus der EU-Klimaschutzverordnung nicht einhalten, mit möglichen Risiken für den Bundeshaushalt, entweder durch Ankäufe von Gutschriften anderer EU Mitgliedstaaten oder durch die ausnahmsweise, aber wohl preissetzende Option, ETS-Rechte zum Ausgleich zuzukaufen. Beim jetzigen Wert von 80 Euro/t projiziert der BMWK faktisch eine drohende Haushaltslast von acht Milliarden Euro (über 10 Jahre).

Auf diese Risiken hat der Bundesrechnungshof zuletzt in seinem Sonderbericht zur Steuerung des Klimaschutzes in Deutschland hingewiesen.

Bleibt die Frage, wie diese nur „drohenden“ aber sehr wohl preisbewehrten Verfehlungen „umzusetzen“ sind.

Eine Antwort ist: Die Droh-Preise, die seitens der EU gesetzt wurden, sind weiterzureichen, in die Kalküle, die hiesiges Handeln leiten. Wenn die Bundesbauverwaltung zum Beispiel, bei Neubau oder Renovierung, das „wirtschaftliche“ Potential der Emissionsvermeidung bestimmt, so reicht es nicht, die vermiedenen Kosten aus der Nutzung fossiler Energieträger mit deren mutmaßlichem Preis über die nächsten 40 Jahre anzusetzen. Es braucht vielmehr einen Aufschlag, und zwar in der Höhe, wie dem Bundeshaushalt eine Last bei Verfehlen des Ziels entsteht. Festzuhalten in der BMF-Arbeitsanleitung Wirtschaftlichkeitsrechnung. Dieser Aufschlag ist mit dem Preis für Berechtigungen für Großanlagen, also rund 100 Euro/t, minimal bestimmt. Diese Droh-Preise haben aber nicht nur das Handeln der Bundesregierung als Verwaltung zu leiten. Sie hat die Länder und die unteren Gebietskörperschaften zu einer Gebäudeauslegung nach demselben Kalkül zu bewegen.

Die zweite Antwort ist: Letztlich hat der Kalkül-Aufschlag auch in die Festlegung des Ambitionsniveaus in der anstehenden nächsten Novellierung des Gebäude-Energie-Gesetzes (GEG) einzugehen. Die Grenze der „wirtschaftlichen Vertretbarkeit“ für Investitionen, so der Schlüsselbegriff im GEG, so niedrig zu legen, dass der Staat später für die überschießenden Emissionen zahlen muss, kann nicht der Sinn der Sache sein. Dann kann der Staat mindestens lieber gleich das Geld in die Hand nehmen und mitinvestieren. Bei einer Alternative für die Geldausgabe, heute investieren oder später Strafe zahlen, fällt die Wahl nicht schwer.

Die dritte Antwort ist: Man mache sich an die Arbeitsanleitung des Normenkontrollrates (NKR). Dessen Aufgabe es ist, die wirtschaftlichen und auch budgetären Folgen von Gesetzesvorhaben, die die Bundesregierung ausarbeitet, jeweils festzustellen, bevor sie der Legislative vorgelegt werden. Die Arbeitsanleitung definiert die drohenden Strafzahlungen an die EU bei unzureichenden Vermeidungsanforderungen bislang als „indirekte“ Kostenfolgen und weist sie deshalb nicht aus. Das aber kann nicht der Sinn der Sache sein, weswegen Brüssel den Mitgliedstaaten Drohpreise für den Fall des Verfehlens setzt.

Es wird vom Lion Air Flug am Tag zuvor (28. Oktober 2018) berichtet, dass die Piloten mit demselben Problem zu kämpfen hatten, zufällig aber ein nicht-diensthabender erfahrener Pilot mit im Cockpit war und sagen konnte „Ich kenne das Problem, Ihr müsst den Hebel X drücken.“

Die Untersuchungen in Seattle haben inzwischen etwas weit Ärgeres herausgebracht: Für die gesamte 737-Serie wurde das Duplizitätsprinzip für die Computersteuerung an Bord zwar hardwareseite eingebaut – dann aber wurden die faktisch nicht sinngemäß laufen gelassen, also einer aktiv, éiner im Stand-by, um im Fall des Ausfalls übernehmen zu können. Die beiden Bordcomputer waren vielmehr so eingestellt, dass die pro Flug abwechselnd nur einzeln eingeschaltet wurden.

Vgl. dazu die folgende Meldung vom 6.6.14 (Interfax Ukraine):
<<Interior Minister Arsen Avakov has said. „I have decided that a hundred percent of combat and patrol units of the Interior Ministry will take part in the antiterrorism operation. This is not only a necessity but also a test of their proficiency, spirit and patriotism. The tempering of units with real threats and challenges is a factor of the creation of a new police force which will be trusted by the public,“ … Avakov reported that 21 officers of the Chernihiv special-purpose patrol battalion comprising volunteers refused to go on a patrol mission in Luhansk region. „The battalion was assigned a patrolling mission in Luhansk region the day before yesterday. Eighty-six men departed to the designated sector to do a man’s job and to accomplish a combat mission in the regime of antiterrorism patrols. Twenty-one persons refused to go and submitted their resignations… They were dismissed immediately,„>>